Raumhafen San Lucas, Ortszeit 02:30, etwa 4 Stunden später
Eine kleine Suborbitalfähre hatte sie innerhalb von kurzer Zeit nach San Lucas gebracht. Mit einem der Air/Rafts der Destiny hätten sie für die Strecke wohl mehr als 15 Stunden gebraucht. Glücklicherweise standen auf den verschiedenen Raumhäfen von Damber überall kleine Passagierfähren bereit, die solche Strecken in kurzer Zeit überwinden konnten.
Jetzt saßen sie in einem weiteren Air/Raft der Quest Hunter Klasse und befanden sich auf dem Weg zum Hauptquartier der Nowellschen Streitkräfte auf Damber. Eine sternklare Sommernacht begleitete ihren Flug rund um die Quarantänezone des Raumhafens.
MacArthur nahm noch einige Schaltungen vor, ehe er sich wieder zu seinen beiden Begleitern wandte – Dr. Bryne und Dr. Ex.
Nach der Szene in der Waffenkammer hatte sich die Lage an Bord wenigstens recht schnell wieder beruhigt. Wenn man mal von den Problemen in den Antriebssystemen der Nighthawk absah.
Was man so Probleme nannte. Kay Azare war – und das war gut – durchaus von der pragmatischen Sorte. Dass sie nicht realisiert hatte, dass für die 700er Ventile eine passende Vorstartsequenz in den Computern des Schiffes vorhanden war, konnte er ihr nicht zum Vorwurf machen.
Letztlich war dies eine Modifikation, die in der Flotte zwar Tradition hatte, aber auch die Wartung des Schiffes deutlich komplizierte. Man erhielt dafür rund zehn Prozent mehr Leistung aus dem Fusionsreaktor, die man in brenzligen Situationen gut brauchen konnte. Und von Situationen dieser Sorte gab es in einem Krieg doch mehr, als einem lieb sein konnte.
In einer ruhigen Minute würden sie mal dieses Thema durchgehen müssen. Es gab da noch einige Dinge in den Untiefen der Destiny, die in eine ähnliche Sparte fielen. Ein jahrelanger, zermürbender Krieg hatte zu vielen derartigen Konstrukten geführt, die findige Ingenieure in kritischen Momenten aus ihren Ärmeln zauberten.
Aber nichts desto trotz, die Nighthawk war mittlerweile im Orbit angekommen, hatte die Aufklärungsdrohne ausgesetzt und wartete auf eine günstige Gelegenheit für den Angriff. So wie sie.
"Wir werden in etwa 15 Minuten vor dem Hauptquartier der Streitkräfte landen, dann geht es los. Dr. Ex, was denken Sie, wie viel Zeit sie mit dem Computer benötigen?"
Der angesprochene reagierte nicht sofort auf die Frage des Captains. In den letzten Stunden war Amaro sehr still geworden. Immer noch hallte der Schock der Erkenntnis aus der Waffenkammer in seinem Inneren nach. Seiner Arroganz, zu glauben alles zu wissen, war ein ziemlicher Tiefschlag versetzt worden, als Dr. Bryne ihr 'Seziermesser' an Broxter übergab. Amaros Augen waren ihm fast aus der Augenhöhle gefallen, als er erkannte, dass dies ein astreines Kampfmesser war: Wohl ausbalanciert und sehr gut zum Werfen geeignet.
Bis dato glaubte Amaro alles Wichtige über jedes Besatzungsmitglied zu wissen. Er war schon immer ein Sammler aller Arten von Daten. Bislang hatte es ihm immer gute Dienste geleistet, mehr zu wissen als alle anderen. Nun tauchte diese Frau auf und überraschte ihn völlig. Bis zu diesem Augenblick war er überzeugt davon, dass irgendjemand in höheren Regierungskreisen Dr. Bryne unbedingt loswerden wollte. Jetzt hatte diese Überzeugung gewaltige Risse bekommen.
'Hatte sie vielleicht einen doppelten Auftrag', fragte er sich. Und wenn er also bei Ihr etwas übersehen hatte, dann vielleicht auch bei anderen. Das hatte ihn nachdenklich werden lassen und leicht verunsichert. War sie noch vertrauenswürdig. Sein bisheriger Plan, wie er die Dinge innerhalb des Schiffes angehen sollte, war ins Wanken geraten.
Trotzdem hatte er Commander Porter die beiden Datenkristalle gegeben, als sie kurz oben vorbeischauten und der Captain mit der Chefingenieurin gesprochen hatte. Ein Kristall enthielt Daten, die er über das Schmugglernest gesammelt hatte. Zwar waren sie schon mehr als ein Jahr alt. Aber vielleicht konnten sie helfen. Der andere Datenkristall enthielt einige Suchprogramme. Amaro wusste aus Erfahrung, wenn man hinter etwas her war und unter Zeitdruck stand, dass es gut war über kleine Programme zu verfügen, die die Suche etwas beschleunigten. Als Suchparameter hatte er die 'verlustgegangene' Ladung eingegeben. Der Commander würde das Programm also innerhalb des Systems starten können und so schneller an den Aufenthaltsort der Ladung kommen. Und ganz nebenbei schleuste es einen Virus ins System ein, das nachdem die Daten übertragen wurden, das ganze Datensystem nicht reparabel zerstören würde. Ein einfaches Funksignal mit einem speziellen Code würde den Vorgang starten. Solange war der Virus, wie ein Schläfer im System getarnt abgelegt. Da Amaro aber noch durch die Aktion von Dr. Bryne verunsichert war, gab er Commander Porter auch das Codewort, wie der Virus unterbunden werden konnte.
Der Captain wollte, dass von diesem Ort keine Schmuggelaktionen mehr durchgeführt werden sollte und der Computerexperte sorgte dafür, dass dies auch auf Datentechnischer Art nicht mehr geschehen würde . Für die andere Art war Broxter zuständig und Amaro war sich sicher, dass es diesem ein Genuss bereiten wird die Anweisung des Captain umzusetzen.
Das wiederholende 'Dr. Ex?' des Captain riss Amaro Ex aus diesen Gedanken und zwang ihn zurück zur Realität. Sie waren auf dem Weg in das Hauptquartier der Streitkräfte. Es gab wenige Orte, von denen er so weit weg wie möglich sein wollte wie dieser.
"Es kommt darauf an, ob Marschall MacAllister sich weiterhin treu geblieben ist oder nicht", antwortete der unscheinbare Mann dem Captain. "Da er ein recht geradliniger Mann ist, sollte es wenige Sekunden beanspruchen. Ich denke nicht, dass er die Passwörter geändert hat, seit ich seinem Computer zusammen mit seiner Tochter einen Besuch abstattete", sagte er mit einem Schmunzeln. "Sollte er aber wider Erwarten alles geändert haben, wird Findus einige Minuten brauchen, bis er uns Zugang verschafft hat", führte Amaro weiter zuversichtlich fort und blickte zu Dr. Bryne und dem Captain.
Als aber beide kein Kommentar gaben, sondern ihn nur fragend ansahen, erkannte der Computerexperte, dass sie nicht verstanden hatten. Daher fügte er schnell hinzu: "Entschuldigen Sie, Sie können ja nicht wissen, was oder wer Findus ist. Ich habe über die Zeit viele kleine Hilfsprogramme entwickelt, die mir gute Dienste leisten. Irgendwann habe ich begonnen ihnen Eigennamen zu geben. Findus ist ein sogenannter 'Codebreaker'. Er schleust sich ein und verschafft mir Zugang zum System. Das kann über unterschiedliche Wege gehen. Manchmal durch die Vordertür und manchmal durch die Hintertür", erläuterte Amaro sachlich.
"Um Ihre Frage also genau zu beantworten von wenigen Sekunden bis zu 5 Minuten oder schlimmstenfalls gar nicht", beantwortete er die Frage des Captains.
MacArthur nickte zufrieden. Immerhin würden sie also recht schnell wissen, wie sich der Ausflug entwickeln würde. "Gut, Dr. Ex, da Dr. Bryne und ich auf jeden Fall ein paar Minuten brauchen werden, um das Büro wenigstens oberflächlich abzusuchen, sollte das - insbesondere um diese Uhrzeit - kein Problem sein."
Amalisa hatte es sich zwischenzeitlich in einem der Sessel des Rafts gemütlich gemacht. Gedankenverloren dachte sie über die letzten Stunden nach und hörte dem Gespräch Amaros mit dem Captain nur mit einem halben Ohr zu.
Die Reaktion des Psionikers auf ihr Wurfmesser war sehr offensichtlich gewesen und in Amalisa war große Zufriedenheit darüber aufgestiegen. Sie fand es außerordentlich hilfreich, wenn man sie für ungefährlich und unbedarft hielt.
Eine Wissenschaftlerin, durch die häufig sitzende Arbeit im Labor – wie die Menschen sich eben die Arbeit eines Wissenschaftlers so vorstellten – und mangelnde Bewegung ein wenig behäbig und nicht mehr ganz gertenschlank geworden war. So jemandem traute man nicht zu, dass er ein Wurfmesser im Stiefel mit sich führte. Geschweige denn, dass er es auch zu verwenden wusste.
Broxter war da ein ganz anderes Kaliber. Amalisa war sich ziemlich sicher, dass sie ihn nicht täuschen konnte. Zum Einen hatte er sicherlich ihre Personalakte aufs Genaueste durchforstet und auch noch andere Kanäle zu Rate gezogen, die ihm verrieten, dass diese spezielle Wissenschaftlerin ziemlich gut trainiert war.
Was ihr das nutzen würde, würde die Zeit zeigen.
Mit einem leisen Seufzen bemerkte Amalisa, dass sie wieder einmal das Ende ihres Zopfes in den Fingern drehte. Was für eine unsägliche Angewohnheit… Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte ihre ganze Aufmerksamkeit nun den beiden Männern zu.
Mittlerweile hatte der Gleiter die letzten Kilometer zum Hauptquartier zurückgelegt. MacArthur ließ ihn an der Pforte zum stehen kommen und fuhr die Scheibe herunter. Der Diensthabende trat heran, mit all der Motivation, die er mitten in der Nacht noch aufbringen konnte in seiner Haltung. Es dauerte einen Moment, ehe er erkannte, wen er da vor sich hatte.
Unterbewusst nahm der Corporal Haltung an: "Sir, Captain! Willkommen in San Lucas. Ihre Ausweise bitte!"
"Guten Abend, Corporal … Martin", las Jonathan von seinem Namensschild ab, während er routiniert die drei Ausweise durch das Fenster reichte. Es war klar gewesen, dass sie nur auf offiziellem Weg auf das Gelände kamen, aber letztlich sollte das kein Problem sein.
Die Wache ging kurz zur Pforte und prüfte dort die Ausweise. MacArthur war sicher, das genau in diesem Moment ein Millimeterwellenradar das gesamte Fahrzeug durchleuchtete und damit auch seine Dienstwaffe entdeckte. Grundsätzlich war dies nicht verboten, aber es war auch nicht unbedingt üblich. Er hoffte hier auf seinen Ruf und die späte Stunde.
Corporal Martin trat wieder an das Fahrzeug heran und gab MacArthur die Ausweise zurück: "Alles in Ordnung, Sir, einen schönen Abend noch!" MacArthur gestattete sich ein kurzes Aufatmen, während sie sich wieder in Bewegung setzten. Die schwierigste Hürde war genommen.
"Ich werde direkt vor dem Generalstabsgebäude der Marines parken. Packen wir's an."
San Lucas, Armeegelände, Generalstabsgebäude
Das Generalstabsgebäude befand sich im vorderen Drittel der Anlage. Es war eine Minute Fahrzeit von der Pforte entfernt. Der Weg war von hohen Laternen flankiert, die das Gelände ordentlich ausleuchteten. Nicht ganz so stark wie die Flutlichtanlagen auf dem Exerzierplatz neben der Straße, aber so stark, dass der Weg bequem ersichtlich war und es nicht blendete.
Der Gleiter kam vor dem vierstöckigen Gebäude zum stehen. Amaro zog seine mitgenommene schwarze Schildmütze auf den Kopf. Sie würde ihn vor den überall angebrachten Kameras ein bisschen Sichtschutz geben. Das und der Kragen seiner Lederjacke, die er anschließend hochzog. Es musste nicht jeder erkennen, wer da noch mit Captain MacArthur und Dr. Bryne zu dieser späten Stunde in der Anlage spazieren ging.
Beim Ausstieg schlug ihnen ein recht kühler Nachtwind entgegen. Es war eine klare Nacht und die Sterne funkelten hell am Firmament. Amaro betrachtete das Gebäude genauer. Das Büro des Marshalls lag im 2ten Stock mit Blick auf die Straße, erinnerte er sich. Einzig in einem Raum neben der Eingangstür brannte noch ein diffuses Licht neben der Nachtbeleuchtung in den Gängen. Wenn es stimmte was ihm Maria vom Militär erzählte, und daran hegte er keinen Zweifel, dann dürften in dem Raum neben der Eingangstür zwei Soldaten Wache halten. Irgendwo im Erdgeschoss müsste das Zimmer des Offiziers vom Dienst sein. Wenn Sie Glück hatten schlummerte er, oder war auf einem Patrouillengang. Amaro war gespannt, wie der Captain sie nun an den Wachen vorbeischleusen würde. Was würde er sagen, damit sie ihn einlassen.
„Sieht danach aus, als würde nur die Wache vom Dienst noch auf sein“, sagte der unscheinbare Mann zu seinen Begleitern und deutete auf das Licht neben dem Eingang. „Wie geht’s nun weiter, Captain?“, fragte er direkt.
MacArthur hob die Schultern als er lapidar antwortete: "Na, wir gehen hinein, was sonst?" Zielstrebig ging er auf die Türe zu und trat ein. Noch während seine beiden Begleiter mit eintraten, erkannte MacArthur, dass sie gerade unverschämtes Glück hatten.
Dass eine der beiden Wachen gerade schlief, das hatte er erwartet. Es war nur normal, dass man sich zu dieser Zeit abwechselte. Nur, dass der andere gerade über einem Buch eingeschlafen war - das spielte ihnen perfekt in die Hände. Klar, die Nächte waren lang, halb drei Uhr nachts war es vor Ort. Vermutlich hatten sie sich auf zwei Schichten verteilt, dann wäre um drei Uhr Wachwechsel. Gerade genug Zeit. Theoretisch.
Die schlimmste Zeit während der Nachtwache, wie er sich selbst an die Anfänge seiner Militärkarriere erinnerte. Und Bücher waren um diese Zeit besonders gefährlich.
Schnell bedeutete er seinen Begleitern, sich ruhig zu verhalten, bevor sie den jungen Soldaten noch aufweckten. Hinaus kam man erfahrungsgemäß ja dann auch leichter als hinein…
Auf leisen Sohlen huschten die drei die Treppe hinauf zum Büro des Marshalls und schlossen die Türe hinter sich.
Erst jetzt wagte MacArthur es wieder, mit gedämpfter Stimme zu sprechen: "Also, soweit haben wir Glück gehabt, verhalten Sie sich weiter leise, wir gehen so vor wie geplant. Ich schätze, dass sie unten um drei Uhr Wachwechsel machen, aber verlassen sollten wir uns darauf nicht. Also Beeilung."
Amaro schüttelte den Kopf. Nach seiner Erfahrung gab es so was wie Glück nicht. Erst die offene Eingangstür, dann der schlafende Wachsoldat und nun auch noch das offene Zimmer von Feldmarschall MacAllister. Wenn die Armee von Nowel so lausig im Schutz seiner Liegenschaften war, dann wunderte es ihn nicht dass es radikale Umsturzbestrebungen gab. Kein Wunder also, dass der Präsident besorgt war. Trotz allem Misstrauen war ihm nichts aufgefallen, was auf eine Falle hindeuten konnte. Er beschloss es erstmal so hinzunehmen und sich an die Arbeit zu machen.
In der Mitte des Raumes, beleuchtet durch das Außenfenster, stand ein alter Eichenschreibtisch. Die Tischfüße waren schraubenartig gedrechselt und glänzten matt. Auf dem Tisch prangte in der Mitte ein Namensschild auf dem Stand: 'Feldmarschall MacAllister'. Dahinter eine kleine Mahagoni Ablage in der Schreibutensilien lagen. Neben dem Terminal, der die rechte Seite des Schreibtischs einnahm, stand nur noch auf der anderen Seite ein Bilderrahmen. Sonst war der Schreibtisch akkurat aufgeräumt. Der in schwarzem Leder gehaltene Bürosessel stand ordnungsgemäß hinter dem Tisch.
Der unscheinbare Mann ging um den Tisch herum, schob den Sessel zur Seite und setzte sich. Er schaltete den Terminal ein, zog einen kleinen zerlegbaren Taschencomputer aus einer seiner Jackentaschen und baute ihn zusammen. Sein Blick fiel auf das Bild in dem schlichten grauen Rahmen. Das Licht, das vom Bildschirm des Terminals stammte, erhellte das Bild soweit, dass es gut erkennbar war. Es zeigte den Feldmarschall mit seiner Frau und seiner Tochter Maria bei der Geburtstagsfeier ihrer Tochter. Amaro streckte sich nach vorne und nahm das Bild in die linke Hand. Er betrachtete es genauer. 'Das stammte noch aus der Zeit glücklicher Tage‘, dachte er und lächelte wie die drei Personen auf dem Bild. Es war kurz vor dem tödlichen Unfall Marias Mutter aufgenommen worden. Und wie bei seinem Bild, das auf seinem Schreibtisch in der Destiny stand, war ein weiteres kleines Bild rechts am Rand von Maria im Tarnanzug der Rangers eingeklemmt. Er erinnerte sich wie erstaunt sie war, das Bild dort zu sehen, als er und sie das erste Mal hier eingedrungen waren. Sie hatten sich später darüber gestritten, denn Amaro behauptete, dass ein Mann nur dann es zusätzlich eingeklemmt hätte, wenn es für ihn wirklich wichtig wäre. Sie war anderer Meinung. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie erfahren müssen, dass es nur noch das Militär für ihren Vater gab und nichts anderes. Seine Ignoranz oder Zurückgezogenheit hatten ihre Gefühle sehr verletzt. Bis heute hatte sie ihm das nicht verziehen. Maria konnte ja nicht wissen, dass es Amaro gespürt hatte, wie sehr der Feldmarschall seine Tochter liebte, als er einmal zu Besuch bei ihnen war. Leider bestand die Beziehung der beiden aus einem Missverständnis nach dem anderen und der Unfähigkeit beider sich auszusprechen.
Der Rechner fuhr hoch und auf dem Bildschirm zeigte sich die Passworteingabeaufforderung. Von dem Piep Ton auf das eigentliche Ziel zurückgeführt, legte der Computerexperte das Bild zurück und gab das ihm letzte bekannte Passwort ein. Danach lehnte er sich zurück und wartete gespannt.
"Zugang gestattet", bestätigte eine monotone Computerstimme und weiter begrüßte sie: "Willkommen Feldmarschall MacAllister!"
Nahezu bewegungslos stand Amalisa neben der geschlossenen Tür und fühlte sich vollkommen fehl am Platz. Sie hatte weiche Knie und eigentlich hätte jeder der Anwesenden merken müssen, dass ihr Herz ihr aus dem Brustkorb zu springen drohte.
Wo war sie hinein geraten? Eigentlich hatte doch alles so einfach ausgesehen - Dienst an Bord eines Raumschiffs. Und Raumschiffe bewegten sich im Normalfall im All, tausende von Kilometern entfernt vom Büro eines hoch angesehenen Feldmarschalles, in das sie gerade mit ihrem Vorgesetzten und einem dubiosen Computerspezialisten … eingebrochen war!
Amalisa konzentrierte sich auf die Atemtechniken des Taijiquan und unbewusst richtete sich ihr Körper auf, während die angespannte Körperhaltung sich langsam veränderte. Kurze Zeit später veränderte sich auch der Gesichtsausdruck der Medizinerin. Sie lächelte leicht, während sie sich auf einmal wesentlich wohler fühlte. Ihr Puls hatte sich beruhigt, die Anspannung war verflogen. Dennoch war sie sprungbereit wie ein Tiger im Dschungel.
"Glückwunsch, Mr. Ex", ihre leise Stimme war freundlich und klang entspannt. "Nun bin ich gespannt, was Sie noch zu Tage fördern werden!"
Amaro blickte erstaunt von dem Terminal auf zur Tür, von der aus die Stimme seiner Vorgesetzten aus der Dunkelheit zu ihm drang. "Danke Dr. Bryne", antwortete er automatisch. Da war es wieder, dachte er bei sich. Sie sagte Mr. Ex, nicht Dr. Ex. Es war ihm heute schon mehr als einmal aufgefallen, konnte es aber noch nicht deuten. Im Moment vermutete er, dass es ein Missfallen ihrerseits ausdrücken könnte, wenn Sie nicht ganz korrekt auf die Titel achtete. Er nahm sich vor mehr darauf zu achten. Doch jetzt war nicht die Zeit dafür. Daher fuhr er ehrlich fort: "und ich erst Dr. Bryne undich erst", und wendete seine Aufmerksamkeit neugierig dem kleinen Terminal des Feldmarschalls zu.
Amaro wechselte von der normalen Bildschirmoberfläche in die Eingabestruktur des Computers und gab einige Befehle ein. Sekunden später ging von dem kleinen Kasten, den er angeschlossen hatte, ein feines Leuchten aus. Ein konischer Strahl breitete sich von dem Kästchen nach oben aus und zeigte, nach und nach, dreidimensionale Strukturen von Ordner und Pfaden unterschiedlicher Dateien über dem Rechner. Sie umgaben Amaro Ex zu 180° und tauchten den Raum in leicht hellbläuliches Licht.
"Pfadfinder?", fragte der unscheinbare Mann in das nichts. "Folge dem Signal der Überwachungskameras zu seinem Speicherort. Wenn Du den Ort gefunden hast gebe sämtliche Daten, die Du findest an Jameson weiter. Bitte sei vorsichtig bei Deinem vordringen. Solltest Du auf Widerstand oder Wächter treffen, lass Dich auf nichts ein, sondern erstatte mir sofort Bericht", befahl der Computerexperten ganz auf seine Arbeit konzentriert einem Programm in die ausbreitende Stille.
"In Ordnung, Doc", antwortete ihm eine jugendliche, ungestüme männliche Stimme. Ein kleiner heller Funke tauchte aus dem bläulichen Licht auf und umschwirrte kurz den Computerexperten bevor es in der Matrix wieder verschwand.
"Jameson, bist Du da?", fragte Amaro in das nichts.
"Selbstverständlich, Professor", antwortete eine tiefe männliche Stimme. "Was kann ich für Sie tun?", fragte sie weiter.
"Bitte sei so gut und richte eine schnelle Verbindung zwischen hier und dem Bordcomputer der Destiny ein", bat Amaro das Programm, das er Jameson nannte.
"Das ist kein Problem, Professor", antwortete Jameson. "Brauchen Sie vielleicht sonst noch etwas", fragte er nach.
"Ja, bereite alles vor um Captain MacArthur, Dr. Bryne, mich und den außenparkenden Suborbitalgleiter aus den Überwachungsaufnahmen des Gebäudes zu löschen. Pfadfinder wird Dich mit den dazu notwendigen Pfade und Daten versorgen. Verwende dazu die Kapazität der Destiny. Das sollte den Prozess erheblich beschleunigen. Dann baust Du eine Schleife für die Zeit in der wir das Gebäude wieder verlassen ", ordnete der Computerexperte an.
"In Ordnung, Professor", bestätigte Jameson erneut.
"Gut", murmelte Amaro vor sich hin und wendete sich den dreidimensional dargestellten Dateien mit einem "nachdem also das Wichtigste geklärt ist, wollen wir sehen was wir in deinem Inneren finden", zu.
Fasziniert hatte MacArthur in den letzten Minuten die Aktivitäten Amaros verfolgt. Es war eine Sache, in den Akten von seinem Gespür für die Technologie zu lesen, aber eine ganz andere, es selbst zu erleben.
Erinnerungen durchzuckten den Geist des Mannes, der in dieser Welt noch immer nicht zu Hause war. Erinnerungen an einige seiner Berührungen mit dem Corps. Mehr als einmal war die Arroganz solcher Personen ihm und seiner Crew beinahe zum Verhängnis geworden. Gleichzeitig waren sie mindestens ebenso häufig ein Trumpf im Ärmel seiner Uniform gewesen.
Sicherlich war MacArthur kein Spezialist auf dem Gebiet der psionischen Kräfte, aber seine lange militärische Karriere hatten ihn genug gelehrt; Amaro war einer der Besten, die er je beobachtet hatte. Beeindruckend und beängstigend zugleich, eine Kombination der Emotionen, die Psioniker bei ihm fast immer auslösten.
Ein Trumpf mit einigen Fußnoten, aber ein nichts desto trotz ein Trumpf. Und, egal welche Vorurteile Broxter hegte, welche Ressentiments er pflegte: MacArthur war nur allzu bewusst, dass sie sich ohne ein paar Überraschungen im Gefilde der politischen Intrigen der Republik nicht auf Dauer über Wasser halten konnten.
Denn eines war klar: Das Feld der politischen Schlammschlachten war hier ebenso präsent wie im Imperium. Man hatte aus dessen Untergang zwar durchaus gelernt, aber die Natur des Menschen war es nun einmal, sich auf seinen eigenen Vorteil zu konzentrieren.
Es war nicht sein Spiel, aber als Kommandooffizier kam man ohne nicht aus, das hatte er sehr schnell gelernt, noch als junger Lieutenant.
Letzten Endes hatte er deswegen in aller Eile zur Jagd nach der Schieberbande geblasen. Er konnte es nicht zulassen, dass man ihn unterschätzte. Die Unterwelt sollte von Anfang an wissen, dass man die Rechnung nie ohne die Destiny zu machen hatte.
Er gab sich einen Ruck, schob die Gedanken zur Seite. Sie hatten hier eine Aufgabe und die Zeit war knapp. Ein letztes Mal zog er seine Handschuhe glatt und begann damit, sich im Zimmer umzusehen.
In einer Zeit der globalen Vernetzung war manchmal ein Papier oder eine Datendisk in einem Schrank sicherer, als jeder Verschlüsslung auf einem isolierten Terminal…
Amaro klickte einen Ordner nach dem anderen an. Sein Blick blieb kurz daran haften, dann wendete er sich dem nächsten zu. "Hm", brummte der Computerexperte vor sich hin, schob mehrere Ordner beiseite und starrte auf einen leeren Bereich zwischen zwei Ordner. "Wenn mich nicht alles täuscht, könnte hier ein passender Ort für eine Hintertür sein", stellte er vor sich hinsprechend fest. "Jameson? – Findus soll diesen Punkt und den Bereich darum herum untersuchen. Anschließend soll er eine Hintertür für uns einbauen", befahl er ihm.
"In Ordnung, Professor", bestätigte das Programm.
Wieder konzentrierte sich Amaro auf die Dateien vor ihm. Irgendwas störte ihn. Er hatte ein seltsames Gefühl in der Magengrube. Als hätte er etwas immens Wichtiges übersehen.
Ein schwarzer Schatten huschte aus dem bläulichen Zentrum des Gerätes hervor und landete zielsicher mit ihren vier Pfoten auf dem Schreibtisch. Eine schwarze Katze machte elegant einige Schritte während sie sich im Raum mit ihren goldgelb leuchtenden Augen umsah. Majestätisch setzte sie sich und blickte Amaro leicht amüsiert an während sie ihn ansprach: "Guten Abend, Michael. Es ist eine herrliche Nacht um auf die Jagd zu gehen, nicht wahr?"
MacArthur's Suche war in der Zwischenzeit nicht sehr weit gediehen, erneut war seine Aufmerksamkeit auf Amaro übergegangen, zu seinen Fähigkeiten und dem, was er auf der taktischen Akademie des Imperiums gelernt hatte.
Man wusste verhältnismässig wenig über die Computer-Empathen. Es gab einfach zu wenige Psioniker mit dieser Fähigkeit, vielleicht einen unter Zehntausenden. Man behandelte diese Disziplin entsprechend Stiefmütterlich. Ein Fehler, das wurde MacArthur erst jetzt klar. In einer vernetzten Welt war diese Fähigkeit auf ihre ganz eigene Art noch gefährlicher als Telepathie oder Teleportation.
Nicht, dass er ein Experte auf dem Gebiet der Computertechnologie gewesen wäre, seine Stärken lagen in anderen Fachgebieten. Aber auch so war im klar, dass hinter Amaros Programmen und deren unheimlicher Effizienz mehr steckte. Unbewusst frage MacArthur sich, ob 'Jameson' oder 'Findus' auch dann in diesem Ausmaß wirken konnten, wenn der Computerexperte nicht am Terminal saß.
Letztlich war das ein Punkt, den er dringend mit Mr. Ex klären musste. Aber mit dem Auftauchen dieses etwas vorlauten Katers verlagerten sich seine Probleme auf ein sehr viel simpleres Niveau:
"Dr. Ex, sorgen Sie dafür, dass Ihre Software nicht das ganze Haus aufweckt", zischte er ihm zu. "Das hier ist ein Geheimeinsatz, kein Marktplatz!"
Der von der schwarzen Katze angesprochene zuckte zusammen und nickte dem Captain verstehend zu.
Der erschienenen Katze antwortete er überrascht fragend: "Mira, wer hat Dich denn rausgelassen? Hat Jameson mal wieder die Tür vergessen zu schließen?"
Die als Mira angesprochene schwarze Katze zuckte kurz zusammen und legte den Kopf leicht schräg, bevor sie amüsiert kichernd mit einem Seitenblick auf den Captain leise antwortete: "Der gute Jameson, ja, vielleicht. Wer kann das schon sagen. Es gibt so viele Türen zu hüten, vielleicht wird er ja alt", fügte sie zweideutend an.
Amaro starrte die Katze entgeistert an und grübelte: 'Wie schafft sie das nur? Ich habe ihr Programm nun zum X-Mal überprüft aber nie irgendwelche Codes gefunden, die ihr so etwas ermöglichen. Geht mein Verstand langsam über den Jordan? Das gibt es doch einfach nicht. Und das mir, wo ich sie doch selbst vor so vielen Jahren im Kloster programmiert habe. Es ist mir ein absolutes Rätsel!' Gleichzeitig wurmte ihn der Rüffel des Captains. Noch mehr ärgerte er aber über sich selbst. Er hätte auch selbst daran denken sollen. Schließlich machte er so einen Ausflug auch nicht zum ersten Mal. Während dieser Gedanken schweifte sein Blick einmal über die schwarze Katze und blieb überrascht an ihr hängen. Etwas war anders.
Mira fiel auf, dass der Mann vor Ihr, sie mit seinen Blicken genau begutachtete. Gerade als sie ausraufen wollte, er solle das doch bitte lassen, fuhr sie verlegen mit der Pfote über das Gesicht. Auf die Pfote starrend rief sie entzückt aus: "Was? Was ist das, Michael? Wie hast Du das gemacht?", fragte sie und hob die Pfote vor Begeisterung schnurrend zu ihm hoch.
Amaro war wie vom Donner gerührt. Er hatte ja viel erwartet seit er auf der Destiny angekommen war, aber dass trieb ihm nun fast die Tränen in die Augen und machte ihn nahezu sprachlos. Der unscheinbare Mann rang sichtlich mit sich als er flüsterte: "Schau nur wie schön Dein Fell glänzt und die Haare erst. Jedes einzelne Haar ist bis in die kleinste Zelle dargestellt. Oh was für ein Wunder! Jetzt siehst Du wirklich so aus, wie ich Dich geschaffen habe. All die Technik auf Nowel reichte nicht dazu aus. Selbst meine eigenfabrizierten Hologramm-Emitter konnten das nicht bewerkstelligen. Sie alle haben Deine Darstellung immer nur reduziert darstellen können. Sieh nur", sagte er begeistert, beugte sich nach vorne und nahm die dargebotene Pfote der Katze in seine rechte Hand.
Beide blickten begeistert einige Sekunden auf die Pfote bevor Mira sie zurück zog und sich verlegen putzte. Schließlich wurde es ihr zu bunt. Und mit dem Ausruf: "Lass das! Du kannst Dich später darüber wie ein kleines Kind freuen, wir haben zu tun!", holte sie den Mann vor sich wieder in die Realität zurück.
Der Computerexperte blickte auf den kleinen holographischen Emitter, den er von der Destiny zu diesem Einsatz mitgenommen hatte, begeistert an. Beinahe andächtig flüsterte er immer noch leicht ergriffen: "Nie hätte ich mir träumen lassen, dass die Technologie so einen Riesenschritt gemacht hat. Das also ist Tech 15. Das ist wahrhaftig unglaublich.", stellte er fest. 'Aber warum ist mir das heute vormittags nicht aufgefallen', fragte er sich gleichzeitig. Schließlich hatter er schon da mit der Technik und den Holographischen Emitter der Destiny zu tun.Doch darauf gab es auch eine Antwort: 'Weil alle anderen Objekte,mit denen ich zu tun hatte, abstrakt waren, deshalb.' Ziemlich zufrieden mit dieser Erkenntnis und dem Verlauf der Dinge wandte er sich wieder der Katze zu. "Also wenn Du schon einmal hier bist, dann könntest Du mir ja helfen die vielen Daten hier zu durchforsten", forderte Amaro Mira auf und deutete auf den letzten Ordner.
Bei sich dachte er aber, dass es eher wahrscheinlich sein wird, dass die Zimmerdurchsuchung mehr ergeben könnte, zumindest wenn er den alten McAllister richtig einschätzte. Denn bis jetzt war seine Suche eher enttäuschend.
Mira streckte sich mit den Vorderpfoten nach Katzen Art und blickte den Computerexperten freundlich an. "Warum nicht? Das könnte Spaß machen", stellte sie fest. Mit einem Satz sprang sie behände in den Ordner und verschwand.
Amalisa war in der Zwischenzeit dem Beispiel des Captains gefolgt und hatte ebenfalls begonnen, sich im Raum umzusehen. Als der Captain die rechte Hälfte des Büros in Angriff genommen hatte, hatte sich die Medizinerin nach links gewandt.
An den Wänden des Büroraumes standen hauptsächlich Regale, in denen viele in Leder oder einen wie Leder wirkenden Kunststoff gebundene Bücher standen. Amalisa fragte sich unwillkürlich, zu welcher Sorte Mensch der Feldmarschall wohl gehörte: Einer, der seine Bücher tatsächlich gelesen hatte oder einer, der sie nur ob ihrer intellektuellen Wirkung im Regal stehen hatte.
Sie trat an ein Regal und begann, systematisch die Bücher herauszunehmen, sie nach eingelegten Seiten zu durchblättern und ebenso die Regale zu begutachten. Dabei stieß sie auf Titel wie "Die Kunst der Kriegsführung", bei dem ihr ein unwillkürlicher Blick auf das Erscheinungsdatum ihre Vermutung bestätigte, es handele sich um ein Buch aus Imperiumszeiten.
Einige Bücher mit ähnlich martialischen Titeln weiter wurde Amalisa erstmals fündig. Mitten in "Raumschiffe und Luftlandefahrzeuge" befand sich ein gefalteter Zettel, der mit sauberer Handschrift bedeckt war. Noch bevor sich die Ärztin einen ersten Eindruck des Inhalts verschaffen konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit von Ex' holografischer Darstellung gefangen.
Nicht, dass sie keine holografischen Darstellungen kannte. Aber diese Katze war nun doch ein wenig irritierend. Gehörte sie mit zu Amaros Kunstfertigkeiten - oder war sie womöglich ein Ergebnis des attackierten Rechners?
Relativ schnell verwarf sie diesen Gedanken jedoch wieder. Die Qualität dieses Hologrammes war einfach zu hoch - zumindest ihrer Ansicht nach sollte die Nowell'sche Technologie nicht so fortgeschritten sein
Neugierig betrachtete sie den Psioniker, wobei sie das halb aufgefaltete Blatt in ihrer Hand beinahe vergaß
Die Andeutung eines zufriedenen Lächelns erhellte Amalisas Gesicht, als sie ihre Vermutung bestätigt sah. Die Katze gehörte zu Ex. Und dieser behandelte sie wie ein intelligentes Lebewesen, was sie ausgesprochen spannend fand.
Die Wissenschaftlerin hatte sich bereits wieder der Bücherreihe zugewandt, als ihr der Zettel in ihrer Hand wieder einfiel.
Schnell überflog sie das Geschriebene. Zahlenkolonnen, unterbrochen von eingeflochtenen Worten. Für sie ergab das Ganze überhaupt keinen Sinn. Dass kein Sinn vorhanden sein sollte, konnte sie sich andererseits nicht vorstellen. Warum sollte jemand etwas so fein säuberlich aufschreiben, wenn es unnötig war?
Wenige Schritte brachten Amalisa neben den Captain, dem sie das Blatt reichte. "Können Sie damit etwas anfangen?"
Jonathan konnte ein Zusammenzucken nicht verhindern, so war er bei der Betrachtung von Amaros Aktivität in Gedanken versunken. Mehr denn je wurde ihm klar, was für ein unglaubliches Glück er doch gehabt hatte, eine Person wie diese in der Republik zu finden.
In höchstem Maße fähig und gefährlich zu gleich. Diesen Mann in die Gesellschaft zurück zu führen, angefangen mit dem Bordleben, war die vielleicht größte Herausforderung, vor der er je gestanden war.
Noch immer war Jonathan völlig schleierhaft, wie er mit den Mitteln von Novell ein Expertensystem wie diese Katze hatte erschaffen können, hart an der Grenze zur echten Intelligenz. Mit Hilfe seiner psionischen Fähigkeiten wohl sogar hinter dieser Linie, eine andere Erklärung gab es nicht.
Wohin das führen würde? Das war eine Frage, der er sich aber in diesem Moment entzog. Dafür war noch lange genug Zeit.
"Entschuldigen Sie, Dr. Bryne, ich war in Gedanken. Lassen Sie sehen..."
Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die handgeschriebene Notiz. Er benötigte nur einige Momente, ehe sein über Jahrzehnte geschulter Raumfahrerverstand erkannte, was da stand. Zumindest ein guter Teil davon.
"Das könnte unser Jackpot sein. Bei den ersten drei Zeilen kann ich nur vermuten, die Kombination aus Wörtern - alle aus dem nautischen Alphabet - und Zahlen würde mich auf eine Art Chiffre oder Zugangscode tippen lassen.
Die anderen Zeilen aber sind Kursvektorangaben. Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, bezieht sich das auf Damber, die Orbitalwerte würden in etwa passen. Da ist ein Transfer-Orbit vom äußeren Gasriesen, der einem in circa 4 Wochen in Schleichfahrt in das innere System bringt, abseits der üblichen Anflugvektoren.
Der andere Part ist ein Anflugkurs aus einem hohen, vermutlich elliptischen Orbit, der einen auf einen bestimmten Punkt des Planeten bringt, ebenso wieder mit möglichst wenig Energieaufwand und damit erneut entsprechend unauffällig.
Das wäre genau die Information, die ein Schmuggler bräuchte, um möglichst ungesehen an einer abgelegenen Stelle auf Damber zu landen und wieder zu starten. Die einzige Frage ist, für welchen Rotationswinkel des Planeten der Kurs gültig ist, so bekommen wir nur eine Linie rund um den Planeten."
MacArthur deutete auf das Fragezeichen am Ende der letzten Zahlenkolonne, an dessen Stelle normalerweise eine Winkelangabe zu finden war
Bereits während der Ausführungen des Captain war Amalisas Hand unbewußt zu ihrem langen Zopf gewandert und hatte diesen fest ergriffen. Nur das große Ganze dessen, was MacArthur ihr da gerade erklärte, verstand sie - die Details verblieben eher vage Vorstellungen.
"Dann ist es wohl das Vernünftigste, Sie stecken das Papier ein und wir machen uns später an Bord genauere Gedanken darüber. Auch mit Hilfe des Bordcomputers - Mr. Ex ist ja gerade mit anderen Dingen beschäftigt.", ein Blick auf den Computerspezialisten bestätigte diese Annahme.
"Ich bin mir nicht sicher, ob uns der Computer hier weiterhilft, so können wir wohl nur einmal um den Planeten fliegen und hoffen, etwas zu finden. Und es beantwortet nicht die Frage, warum der Marshall sich in die Machenschaften dieser Unterwelter verstricken konnte. Und das ist die Frage, auf die es hier ankommt. Vielleicht aber helfen uns hier die chiffrierten Informationen weiter, die wir nicht zuordnen können. Und das ist die Domäne unseres Dr. Ex."
MacArthur ging zu dem Terminal hinüber, an dem Amaro konzentriert die Ausgaben seiner Programme beobachtete. "Dr. Ex", unterbrach Jonathan dessen Arbeit, "wir haben hier eine handschriftliche Information gefunden, die wir nicht weiter zuordnen können." MacArthur widerholte kurz die wichtigsten Punkte, die er bereits der Wissenschaftlerin erklärt hatte. "Können Sie vielleicht irgend eine der Informationen aus den ersten drei Zeilen zuordnen?"
Amaro blickte auf den Zettel der ihm vom Captain gereicht wurde. Die Zahlen sagten ihm erstmal gar nichts. "Ich denke ich gebe diese Daten an Spürnase weiter. Er kann ja ein paar Simulationen laufen lassen", sagte der Computerexperte zu den anderen und scannte den Zettel. Mit wenigen Handgriffen gab er noch weitere Befehle ein und die Computerstimme von Spürnase Jameson bestätigte kurz deren Erhalt.
Zu Mira zugewandt meinte er: "Schau mal, ob diese Zahlen nicht auf einen geheimen Datenbereich hindeuten können, welchen wir bisher übersehen haben." Mira nickte und sprang elegant in einen der Ordner.
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Auf der anderen Seite des Kontinents machte sich ein vor kurzem angerufener Hacker fertig seinen Auftrag auszuführen. Mit wenigen Handgriffen steckte er die letzten Gerätschaften aneinander und startete sein System. Das Licht seines holografischen Emitter tauchte den Raum in bläuliches Licht. Der Hacker stellte sich vor das holographische Bild und murmelte: "Öffne Hintertür AA25."
Erneut sunmmte die Telekomeinheit vor ihm. Er unterbrach seine Aktion und griff nach dem Hörer. "Ja?", fragte er.
Eine Stimme am anderen Ende meldete: "Wir gehen nun vor dem Gebäude in Position. Wir werden vorrücken und das Gebäude für die Gasexplosion entsprechend vorbereiten, wenn Sie das Zeichen dazu geben."
Der Hacker nickt zufrieden. "Einen Moment, ich schalte die Eingangskamera auf Schleife. Dann können Sie mit der Operation Auslöschung beginnen. Denken Sie daran, keine Zeugen zu hinterlassen!", erinnerte er seinen Gesprächspartner.
"Erzählen Sie mir nicht, wie ich meinen Job zu machen haben!", knurrte der andere und ergänzte: "Machen Sie erstmal ihren eigenen!"
Der angesprochene Mann ignorierte den Vorwurf und antwortete nur: "Die Schleife steht. Sie können vorrücken", und wandte sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe zu.
"Wurde auch Zeit", maulte sein Gesprächspartner, beendete das Gespräch und gab seinen Kameraden das Zeichen zum Vorrücken in das Hauptgebäude des Militärkomplexes San Lucas.
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Im Hauptquartier der Armee meldete sich Spürnase zurück: "Professor, ich habe mehrere Simulationen durchgeführt. Es sieht danach aus, als wären das Routen, mit denen man das System unbemerkt betreten und verlassen kann. Sie überschneiden sich zum Teil bei mehreren Punkten. Ich würde postulieren, das das Treffpunkte oder Umschlagsorte sein könnten. Einer davon ist im übrigen bei Arman."
Ein Fluch verließ MacArthurs Lippen, ehe er es verhindern konnte. Ein Teil des Mosaiks nach dem anderen fiel an seinen Platz, und das Bild, das sich daraus ergab, war nicht gerade angenehm. Es roch förmlich nach einem Wespennest, in das Commander Porter da geflogen war. Nicht einfach nur das übliche Verschwinden von Material beim Militär, sondern eine scheinbar groß angelegte Operation im Untergrund der Republik. Je mehr er erfuhr, desto mehr schwor MacArthur sich, diesem Treiben Einhalt zu gebieten.
Unvermittelt sprang Mira wie ein schwarzer Schatten aus einem der Ordner heraus. Sie landete leichtfüßig auf allen vier Beinen auf dem Eichenschreibtisch. "Du hattest Recht, es gab tatsächlich einen versteckten Pfad. Er war durch kleine Passwörter gesichert, die sich aus der Kombination der Zahlen ergaben. Es sind unterschiedliche Dateien darin zu finden unter anderem zwei Videos und mehrere E-Mails. Die Mails sind alle an den Generalfeldmarschall gerichtet. Die meisten sind von einem unbekannten Absender und eine ist von Maria. Ich habe schon mal eine Sicherungskopie an Jameson geschickt. Im übrigen finde ich die Mail von Maria seltsam. Ich würde sagen, das hört sich nicht nach ihr an."
Amaro nickte und dankte der schwarzen Katze. Gleichzeitig öffnete er neugierig die angesprochene Mail und überflog sie kurz. Der Computerexperte schüttelte den Kopf. Das hörte sich in der Tat nicht nach der Frau an, die er liebte. Hier stimmte etwas definitiv nicht. Er schloss die Datei wieder und gab Jameson die Anweisung, nach möglichen Hinweisen zu suchen. "Pfadfinder, bitte versuche herauszufinden, wo diese Mail abgeschickt wurde", gab er die Anweisung einem seiner Programme.
Mira fauchte hörbar laut auf, während Amaro erstarrte. Er fluchte laut, während ihm entfuhr: "Wir haben eine Ratte im System. Das bedeutet, wir sind wohl aufgeflogen, Captain!
"Dla'zhadivl E'ta Shtelians!", entfuhr es MacArthur, dessen Gedanken im gleichen Moment zu rasen begannen; der militärisch geschulte Teil seines Gehirns übernahm die Führung.
"Dr. Ex, in spätestens einer Minute verschwinden wir von hier, packen Sie zusammen. Dr. Bryne, Sie werfen einen Blick aus dem Fenster und sondieren Sie die Lage vor dem Gebäude!"
MacArthur selbst ging zur Tür und öffnete diese für einen Moment, um einen Blick auf den noch immer dunklen Flur zu werfen. Gut. Dort war noch Ruhe. Es blieb also die Hoffnung, dass die Entdeckung bisher nur auf virtueller Ebene stattgefunden war.
Amalisas bisherige Gelassenheit war schlagartig verschwunden. Kaum hatte der Captain ausgesprochen, rannte sie zum Fenster und blickte hinaus. Sie meinte, ihren Herzschlag beinahe schmerzhaft zu spüren und ihre Knie fühlten sich nicht an, als wäre sie nun einem Dauerlauf gewachsen.
Auf der Straße war nichts zu sehen. Der Nachthimmel zeigte immer noch zahlreiche Sterne, aber es waren Wolken aufgezogen. Weißer Nebel zog in kleineren und größeren Schwaden durch die Straße, auf die sie herabblicken konnte. Einzelne Fetzen flossen zusammen und trennten sich wieder, als seien sie lebende Wesen. Ein Schauder verursachte ihr Gänsehaut.
Sie räusperte sich. "Captain, hier draußen ist noch alles ruhig", war ihre Stimme tatsächlich so piepsig, wie sie sich in ihren Ohren anhörte? Sie hoffte nicht.
Aus Richtung des Computerspezialisten hörte sie die Geräusche, aber sie blickte nicht zurück. Wie gebannt starrte sie auf die Straße, die durch die Laternen in angenehme Helligkeit getaucht war. Ein einsamer Spaziergänger ließ sie erstarren. Zielstrebigen Schrittes marschierte er die Straße entlang, von links kommend. "Ein … nächtlicher Spaziergänger", kommentierte die Wissenschaftlerin, um wenige Augenblicke später zu vervollständigen: "Scheinbar tatsächlich ein Spaziergänger, er ging am Gebäude vorbei."
Amalisa spürte, dass sie den ganzen Körper verspannt hatte. Sie atmete tief aus, entspannte bewusst ihre Muskulatur. Sogleich fühlte sie sich wohler.
Der Eindruck von Entspannung verflog innerhalb weniger Sekunden, als sich die Strahlen von Scheinwerfern aus dem Himmel näherten. Amalisa schluckte trocken. Zwei Fahrzeuge sanken durch den aufkommenden Nebel hinab auf die Straße. Eines der beiden war ein offener Air Raft der Traveler Klasse, alle neun Sitze schienen besetzt zu sein. Das zweite, das ebenso geräuschlos landete wie das erste, war für die Ärztin nicht genau zuzuordnen.
"Captain, wir bekommen auch da draußen Besuch. Ein vollbesetztes Traveler Air Raft, ein mir unbekanntes dazu. Geschlossenes Fahrzeug, Besatzung nicht zu erkennen.
Der Computerspezialist hörte sich ruhig die Anweisungen des Captains im Büro des Feldmarschalls an. Nickte verstehend und wendete sich der Katze zu: "Mira ich möchte wissen, von wo aus dieser Angreifer operiert. Gib mir Bescheid sobald Du ihn gefunden hast. Kriegst Du das hin?", fragte er nach.
Mira blickte ihn mit ihren goldgelben Augen an und erwiderte freudig erregt: "Ich darf auf die Jagd gehen? Sehr fein." Sie wendete sich um und sprach in das bläuliche Licht hinein: "Kommt meine Kinder, Mama geht auf die Jagd! Pfadfinder, Findus, Berserker, wo bleibt ihr!", forderte sie die anderen Programme auf und sprang nach einem letzten Blick auf Amaro in das bläuliche Licht und verschwand.
Amaro blickte ihr kurz hinterher bevor er Jameson anwies: "Bitte überwache und zeichne auf was dieser Angreifer so treibt. Ich will wissen auf was er es abgesehen hat. Halte Dich auf sehr weiten Abstand. Er darf auf keinen Fall merken, dass Du ihn beobachtest."
"In Ordnung, Professor. Ich werde vorsichtig sein", bestätigte Jameson. "Darf ich anmerken, dass Pfadfinder die Mail wie gewünscht verfolgt hat. Sie kam nicht von dem Rechner von Maria MacAllister. Leider hat der Kleine die Spur in der Nähe von Arman verloren. Die Nachricht wurde wohl über einige Knoten versendet. Wir können nicht sagen, ob wir das Ziel erreicht haben. Es tut mir leid, dass wir Ihnen nicht wirklich helfen konnten, Professor", ergänzte und entschuldigte sich das Programm.
Amaro nickte kurz und löste das Kabel zum holographischen Emitter. Schnell verstaute er das Gerät in einer seiner vielen Taschen seiner Kleidung. Zum Captain zugewandt sprach er: "Haben Sie gehört, da scheint weit mehr in Arman vorzugehen, also wir bisher vermutet haben. Ich…", begann er einen weiteren Satz, aber ließ ihn offen. Er verzog das Gesicht. Mehrere nicht klar unterscheidbare starke Gedanken streiften seinen Geist. Er konnte nicht genau sagen, woher sie kamen, noch was sie zu bedeuten hatten. Doch eine mörderische Intention dahinter war sehr deutlich zu spüren. In diesem Gebäude waren nur sie und die schlafenden Soldaten. Das bedeutete, dass nur die Personen, von den Dr. Bryne gerade gesprochen hatte, der Ursprung dieser Gedanken sein konnten. Waren sie etwa schon im Gebäude?
"Captain, diese Männer wollen kein Kaffeekränzchen halten. Sie sind hier um zu töten!", sprach er seine Gedanken leise aus.
"Soso", antwortete MacArthur während er sich unauffällig gegenüber von Amalisa an die andere Seite des Fensters begab… und beinahe erneut fluchte.
"Das ist ein G-Carrier der Resolve-Klasse, bis zu 14 Mann Besatzung. Im Geländeflug schneller und beweglicher als unser Raft, im freien Flug aber langsamer. Und bestückt mit einem Lasergeschütz."
Während der Erklärungen MacArthurs tauchten aus dem G-Carrier weitere Soldaten in Kampfanzügen ohne sichtbare Markierungen auf, die sich vor dem Gebäude sammelten.
"Jetzt aber hurtig, Schluss mit unauffällig. Zur rückwärtigen Treppe, schnell." MacArthur wartete die Antwort seiner beiden Begleiter nicht erst ab, sondern verließ im Laufschritt das Büro. Mit einer automatisierten Bewegung zog er seine Waffe und entsicherte sie.
Als ob er es geahnt hatte, war dies nicht seine übliche Gauss-Pistole, sondern eine schwere Plasmapistole, Typ HP-12. Mit genug Feuerkraft, um selbst einen mittelschwer gepanzerten Menschen in einen Haufen Asche zu verwandeln. Still dankte er Broxter, der darauf bestanden hatte.
An der Tür zum hinteren Treppenhaus angekommen, ging er rechts neben der Tür in Deckung und bedeutete den beiden anderen, sich auf die andere Seite zu geben. So würde ihnen die Tür notfalls Feuerschutz geben.
Mit der anderen Hand holte MacArthur sein Funkgerät hervor. Ein Kurzstreckenfunkgerät, das für sich alleine genommen niemals eine Verbindung zur Destiny herstellen könnte. Wäre da nicht der portable Mesonenkommunikator, der in ihrem Air-Raft stand.
"MacArthur spricht, Code Alpha Sierra Neun, Authorisation Bravo Zwo X-Ray Lima Zulu Fünf. Mac Arthur, Ende", erklang MacArthurs jetzt eiskalte, gedämpfte Stimme. "Alpha Sierra Neun, Bestätigt." erklang die Stimme einer Frau, dann herrschte wieder Ruhe.
Innerlich atmete MacArthur auf. Lieutenant Xun, obwohl noch jung, hatte sofort und exakt reagiert. Er blickte die anderen an. "Jetzt heißt es, uns etwas Zeit zu kaufen. Die Kavallerie ist unterwegs. Zunächst aber raus aus dieser Falle. Amaro, wenn ich bitten dürfte", er nickte zur Türe und erhob gleichzeitig seine Waffe, die er jetzt mit beiden Händen hielt. Den Rückstoß von Plasmawaffen durfte man nicht unterschätzen.
Amaro riss mit einem Ruck die Tür auf und MacArthur betrat nach einem schnellen Kontrollblick das Treppenhaus. Noch war es ruhig. Noch. Wieder im Laufschritt ging es hinab zum Erdgeschoss.
MacArthur warf einen schnellen Blick durch das Fenster in den Flur. Im Eingangsbereich am anderen Ende sah er erste Bewegungen. "Zum Fenster hinaus, schnell", flüsterte er, "wir bewegen uns zu den Gebäuden weiter hinten, dort müssen irgendwo andere Fahrzeuge sein. Ich gebe Ihnen Deckung. Beeilung!"
Er wandte sich wieder dem Flur zu und harrte der Dinge, die da kamen. Die Plasmawaffe summte beruhigend, als er den Sicherungsbügel umlegte und die erste Ladung in die Brennkammer der Waffe eintrat.
Eines war klar. Irgendjemand pokerte hier zu hoch. Es wurde Zeit, das Blatt auf den Tisch zu bekommen.