Ankunft auf der Destiny I

Republik von Nowell, Damber, Keachi Field
Landefeld O4, vor der Destiny
Im August des Jahres 1205 alter imperialer Zeitrechnung

MacArthur stand am Rande des Landefeldes und blickte auf sein Schiff. Eine schlanke, dunkle Silhouette, die im Glanz der Mitternachtssonne des Polartags lag. Die tiefschwarze Legierung der Außenhülle schien dabei nicht nur Radarimpulse sondern scheinbar auch jeden Funken Licht zu absorbieren und so spielte der konturlose Rumpf sein ganz eigenes Spiel mit den Augen des Captains.

Seit fast einer Stunde stand er einsam hier draußen und betrachtete die Destiny. Sie hatten viel zusammen durchgemacht. Erst der Letzte Krieg, der Hinterhalt bei Huon, dann ein dreiviertel Jahrhundert im interstellaren Raum und die Ankunft in einer neuen, ihm unbekannten Welt.

Danach kamen vier Jahre des recht ereignislosen Patrouillendienstes, mehr dazu da, die ständig wechselnde Besatzung an der modernen Technik des Schiffes zu schulen. Jetzt aber sollten sie hinaus in das unbekannte Terrain der Neuen Ära fliegen.

Im Unterschied zum Letzten Krieg war zumindest die politische Situation jetzt aber grundverschieden. Soweit man wusste, war das Imperium vollständig zusammengebrochen. Noch immer fiel es MacArthur schwer, dies zu akzeptieren. Anscheinend waren die Auswirkungen dieses Mal noch schlimmer als in der Langen Nacht. Das Gebiet um Nowell hatte dabei großes Glück gehabt.

Nach dem, was die Freihändler von den umliegenden Systemen berichteten, war der Regelfall eher der Rückfall in die Zeit vor der interstellaren Raumfahrt, wenn nicht sogar bis ins Mittelalter.

Ein KI-Virus - die ultimative Computerwaffe war außer Kontrolle geraten und hatte sich vor rund 70 Jahren gegen die Menschheit gewandt. Das, was die riesigen Flotten der einzelnen Machtblöcke in den ersten 20 Jahren des Bürgerkriegs nicht geschafft hatten, das hatte Virus innerhalb von ein oder zwei Jahren mit unvorstellbarer Gründlichkeit erreicht: Die Vernichtung der Zivilisation, wie man sie kannte.

Aber die Menschheit hatte überlebt. Billionen Menschen waren gestorben, aber man hatte überlebt. Er selbst hatte zusammen mit seinem Schiff überlebt. Gerade eben.

Gestrandet waren sie in einer aufstrebenden, kleinen Republik, deren demokratische Ideale es trotz aller Intrigen wert waren, verteidigt zu werden. Es hatte einige Zeit gedauert, bis er dies erkannt hatte. MacArthur konnte nun einmal fast vierzig Jahre der imperialen Monarchie nicht verleugnen.

Er selbst war einige Jahre vor dem Fehlsprung zum Ritter geschlagen worden. Obwohl er nie damit hausieren gegangen war, hatte es sich doch herumgesprochen. Genügend Hardliner waren auch heute noch der Meinung, dass man dem "hochnäsigen Adeligen" nicht vertrauen dürfe. Nun, vielleicht hätte er die Verteidigungsflotte von Nowell nicht so vorführen sollen. Letztlich aber war er der Kommandant eines imperialen Kriegsschiffes und kein Diplomat.

Entscheidend war hingegen etwas anderes gewesen: Vor einer scheinbaren Ewigkeit hatte MacArthur einen Schwur geleistet, das Imperium und seine Bevölkerung gegen alle Gefahren zu verteidigen. Die Bevölkerung der Republik war aus diesem Imperium hervorgegangen, also stand es für ihn außer Frage, dass auch ihr Schutz unter diesen Eid fiel.

Davon abgesehen war er noch immer beeindruckt, wie sich die umliegenden Welten wie ein Phönix aus der Asche erhoben hatten. Virus hatte tiefe Narben hinterlassen, aber sie hatten bereits zu heilen begonnen.

Seine Generation war es gewesen, die sich die Schuld dieses Untergangs aufgeladen hatten. Ein Untergang biblischen Ausmaßes. Auch deswegen würde er alles in seiner Macht stehende tun, dieser jungen Keimzelle das Überleben zu ermöglichen. Vielleicht konnte er so etwas von der Schuld seiner Generation abtragen.

Eine Weile herrschte wieder Ruhe in den Gedanken des Captains.

Sein Schiff...

Nun, technisch war sie jetzt ein Schiff der Republik, auch wenn noch immer das Insignia des Imperial Interstellar Scout Service an den Flanken der Antriebsgondeln prangte. Auf dieses Zugeständnis an seine Vergangenheit hatte er bestanden. Ein Imperial Scout Ship. Eigentlich ein Anachronismus, bedachte man die Aufgaben, die dem Service in Kriegszeiten zustanden.

Hier und heute hatte sich dies wieder geändert.

Die Republik musste weiter expandieren, wenn Sie den Gefahren der Umgebung trotzen wollte. Und vor allem musste sie wissen, welche Gefahren dies sein würden. Es war die ursprünglichste Aufgabe des Service gewesen, hinter den Grenzen des bekannten Raumes Aufklärungsarbeit zu leisten.

Mit dieser Erkenntnis hatte man in der Republik ebenfalls einen Scout Service ins Leben gerufen, ihn nach den alten Idealen des Exploration Office geformt. Dementsprechend waren neben der blutroten imperialen Sonne auf der einen Seite des Schiffsnamens die sieben Sterne der Domäne von Deneb auf der anderen zu finden, das alte Logo des EO.

R.S.S. Destiny. Republican Scout Ship. Kein Schiff der Kriegs- oder Handelsmarine mehr. Das erste Schiff in diesem operativen Zweig der Raumflotte der Republik.

"First In" war damals das Motto der Scouts gewesen, und es war das, was MacArthur für sich gewonnen hatte.

Nur, dass das Gefahrenpotential hinter der Grenze ungleich größer war als bisher. Deshalb kam lediglich die Destiny in Frage, diese Aufgabe wahrzunehmen. Sie war exakt für Einsätze dieser Art konstruiert worden. Ebenso wie ihr Captain aus den Special Forces des Imperiums als einziger wirkliche Erfahrung bei Einsätzen hinter der Grenze aufweisen konnte.

Der Regierung war diese Entscheidung nicht leicht gefallen, aber schließlich hatten sie sich seinen Argumenten gebeugt. Man wusste nicht, was einen erwartete. Wenn ein Schiff die Chance hatte, die Umgebung zu erforschen und auch zurück zu kommen, dann war es die Destiny. Kein anderes Schiff der Republik war dazu in der Lage.

Fast das gesamte Schiff war noch immer auf dem technischen Niveau des Imperiums. Selbst die meisten Schäden, die das Schiff während des Angriffs auf Huon davongetragen hatte, konnten mit vergleichbaren Ersatzteilen repariert werden. Lediglich bei der Panzerung hatte er Abstriche hinnehmen müssen. Nowell war schlicht nicht in der Lage, den molekular hochverdichteten Kriegsstahl herzustellen, mit dem der Aufklärer ursprünglich gepanzert gewesen war. Noch nicht.

Seit einigen Tagen waren jetzt auch die letzten Arbeiten abgeschlossen. Dabei waren die umfangreichsten Arbeiten gar keine Reparaturen gewesen, sondern eine Umrüstung für die anstehenden, wissenschaftlichen Aufgaben. Die Frachträume des Hauptdecks hatten wissenschaftlichen Laboren weichen müssen.

Im Laufe des Tages sollte nun die neue Crew für den kommenden Einsatz an Bord gehen. Einige Mitglieder dieser Crew kannte er bereits aus den vergangenen Flügen, aber es waren auch genügend Neuzugänge auf der Liste, um ihn ein wenig unwohl zu stimmen. Große Veränderungen in der Crew eines Schiffes führten immer zu Reibungsverlusten, bis sich alle aufeinander eingespielt hatten. Seine Aufgabe würde es sein, diese Verluste in Grenzen zu halten.

Immerhin würde ihm diese Crew nun eine Weile beschieden bleiben. Die Destiny war lange genug Ausbildungsschiff für die Flotte gewesen. Vor ein paar Tagen erst war das Systemverteidigungsboot R.N.S. Invincible vom Stapel gelaufen. Sie hatte noch nicht den technischen Stand der Destiny, aber sie war ihren Vorläufern Tonne um Tonne deutlich überlegen. Und das bei vergleichbaren Produktionskosten.

Die letzten Mitglieder der Crew waren auf dieses Schiff versetzt worden und sollten jetzt für die Sicherheit des Grenzzsystems Avera sorgen.

Ihr erstes Ziel allerdings würde hinter der Grenze des Imperiums liegen. Das System Marach, drei Parsec nördlich von Damber. Direkter Sprung zu einem der äußeren Gasriesen, dort auftanken, danach Einflug in das System.

Man wusste so gut wie nichts über die aktuellen Zustände im System der Doppelsonne Marach und das ein Parsec dahinter liegende Kinnas. Es wurde von den wenigen Freihändlern nicht angeflogen. Zum einen war hier ein Sprung-2 Triebwerk nötig, zum anderen galt es nicht - mehr? - als rentables Ziel. Warum, war aus den zwielichtigen Händlern nicht herauszubekommen.

Laut den alten Daten war Marach eine mäßig dicht besiedelte, eher kleine Welt. Rund 7.600 km Durchmesser mit dichter Atmosphäre und wenig Oberflächenwasser. Eine Bevölkerung von 32,5 Millionen im Jahr 1116 imperialer Zeitrechnung. Das wohl Wichtigste: Keine strukturierte Regierung. Marach war ein Zufluchtsort der Reichen gewesen. Ein kleinerer Teil der Bevölkerung hatte das Geld, der Rest bestand aus Dienern und einfachen Arbeitern mit wenig Rechten. Abseits der medizinischen Technik war die verfügbare Technologie nicht allzu hoch. Für die Ruhequartiere der Reichen war dies aber auch unnötig.

Die Chancen standen nicht schlecht, dass Marach nicht untergegangen war, warum allerdings die Freihändler das System mieden, war eine spannende Frage, deren Antwort sich bisher sehr gut im Reich der wilden Spekulationen versteckte.

Jetzt galt es aber erst einmal, seine neue Crew an Bord zu nehmen. Immerhin war ihm sein erster Offizier, Commander Porter geblieben. Für die Führung des Schiffes war er eine wertvolle Hilfe, denn sie hatten sich bereits ein gutes Stück aufeinander eingespielt. In Kampfsituationen hatte er aber noch zu lernen, zu sehr kämpfte er immer noch mit den Fähigkeiten der Destiny.

Dann war da natürlich Master Sergeant Broxter, der Einzige, der neben ihm die Odyssee in die Zukunft noch überlebt hatte. Broxter war in den vergangenen Jahren nie von seiner Seite gewichen. MacArthur war durchaus bewusst, dass der Sergeant sehr viel mehr in ihm sah als den Captain der Destiny. Jonathan war es richtiggehend unangenehm, wie sehr Nathaniel Broxter ihn verehrte.

Genau aus diesem Grund aber war Broxter der Einzige, dem MacArthur bedingungslos sein Leben anvertraute. Zurecht, wie die vergangen Jahre bewiesen, hatte es doch zwei Attentate auf ihn gegeben, die beide von Broxter vereitelt worden waren.

Auch Broxter stand vor dem selben Problem wie er: Seine Crew an Marines war recht neu, auch er hatte viel von seinem Wissen weitergegeben und damit die Kommandooffiziere der Marines auf den Schiffsneubauten verstärkt. MacArthur hatte die Dossiers des neuen Einsatzkommandos natürlich bereits studiert, nichts desto trotz war er gespannt darauf, die einzelnen Mitglieder des neuen Teams endlich persönlich kennenzulernen.

Abseits davon waren nur noch Lt. Novak, sein Astrogator, und Chief Petty Officer Halasz von seiner alten Crew übrig.

Der Rest waren Neubesetzungen, die er in den letzten Wochen ausgewählt hatte. Zumindest was den militärischen Teil betraf. Lieutenant Commander Azare als neue Chefingenieurin, First Lieutenant van Haften für die Bordsicherheit, Lieutenant Xun an den Sensorsystemen und Petty Officer 2nd Class Kobayashi, ein weiterer Ingenieur, würden das Schiff am Laufen halten.

Was blieb war eine große Unbekannte. Ab heute würde er mehrere Zivilisten an Bord haben. Wissenschaftler. Auch hier hatte er ein Mitspracherecht bei der Auswahl gehabt, wenn auch nicht so tiefgreifend, wie bei dem militärischen Teil seiner Crew.

Die Ausnahme war Amalisa Bryne, ihres Zeichens Ärztin und Planetologin. Eine temperamentvolle junge Frau, die als offizielle Repräsentantin der Regierung der Republik mit an Bord war. In dieser Eigenschaft war sie ihm grundsätzlich weisungsbefugt, was ihm zugegebenermaßen so gar nicht recht war. Zivile Schoßhündchen an Bord militärischer Schiffe waren noch nie etwas gewesen, was gut gegangen war. Und doch hatte er dies nicht verhindern können.

Prinzipiell konnte er die Gedanken der Politiker ja sogar nachvollziehen. So weit weg von zu Hause sollte eine zivile Instanz mit dabei sein, die die Mission in den richtigen Bahnen hielt. Was auch immer "richtig" in diesem Kontext bedeuten mochte.

Immerhin erstreckte sich die Befugnis nur auf die grundlegenden Eckdaten des weiteren Vorgehens. Die Sicherheit des Schiffes und die Ausführung oblag allein seiner Entscheidungsgewalt. Denn trotz allen Misstrauens, dass die Regierung dem "alten Imperialisten" entgegenbrachte, war ihnen doch klar, dass die Destiny bis auf weiteres für die Republik unersetzlich war.

Mit einem Mal begannen Regentropfen auf seine Dienstmütze niederzugehen. Schnell steigerte sich der Nieselregen in einen Wolkenbruch, der MacArthur im Laufschritt zur Mannschleuse seines Schiffes trieb.

"Verdammtes Scheißwetter!"

Ohne Begleitung stapfte Amalisa Bryne über das Landefeld in Richtung der Destiny, während sie herzhaft fluchte. Dieser verdammte Platzregen! Hätte doch auch noch zehn Minuten warten können, bevor er loslegte!

Das würde ein Einstand sein! Wütend trat Amalisa einen Stein beiseite, der das Unglück hatte, in ihrem Weg zu liegen. Platschend landete er in einer Pfütze, die wenige Meter vor ihr entstanden war.

Sie hatte den Kragen ihrer Jacke hochgeschlagen, aber dennoch merkte sie schon, wie ihr das Wasser den Hals hinablief. Das schwarze, zu einem dicken Zopf geflochtene Haar hing ihr in nassen Strähnen ins Gesicht. Dumm, wie sie war, hatte sie nicht einmal eine Kappe aufgesetzt. Dabei war der Regen nicht unerwartet gekommen, und die Metereologen waren hier so zuverlässig wie anderswo. Man konnte sich also meist auf sie verlassen, wenn auch nicht immer.

Wenigstens hatte sie ihre Habseligkeiten schon an Bord der Destiny bringen lassen. Das ihr zugewiesene Quartier war einfach, aber da sie sowieso nicht gerade einem Luxusleben frönte, störte sie das nicht im Geringsten. Ihre einfache Herkunft hatte sie nie vergessen, auch aller Pomp, den sie durch Sharon Numees kennenlernen durfte, hatte ihre Art zu Leben und zu Denken kaum beeinflussen können. Sie blieb mit beiden Beinen auf dem Boden und hochfahrendes Verhalten war ihr fremd. Was zur Folge hatte, dass sie zwar als Sharons Freundin in der oberen Gesellschaftsschicht akzeptiert wurde, aber oftmals hinter vorgehaltener Hand über sie getuschelt wurde.

Ein verächtliches Schnauben, zu ihrer regengetrübten Laune passend, als sie sich an diesen Typen erinnerte, der der Ansicht gewesen war, als Abkömmling niedrigerer Gesellschaftschichten müsse sie vor Begeisterung zerschmelzen, wenn er ihr ein eindeutig unmoralisches Angebot machte. "Idioten, allesamt!", und diese Ansicht hatte sie ihren Gegenübern oftmals kaum verhohlen.

"Du könntest manchmal schon ein wenig diplomatischer sein!", hatte Sharon sie häufig ermahnt. "Diplomatisch - ich?", war stets ihre lachende Antwort gewesen.

Und nun stand sie hier auf dem Landefeld des Raumhafens, ließ sich vom Platzregen durchnässen und sollte nicht nur die Wissenschaftlerin dieses Raumschiffes werden sondern auch noch eine Art diplomatischen Dienst versehen.
Amalisa schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. Wie das gelaufen war, war ihr irgendwie immer noch nicht klar. Gut, sie kannte sich ein wenig mit der Zeit des Letzten Krieges

aus, hatte alles über das Imperium gelesen, dessen sie habhaft werden konnte. Mehr als nur ein wenig, wenn sie ehrlich war. Natürlich war alles nur angelesenes Wissen und viel davon war vermutlich auch nicht korrekt, denn zahlreiche Bücher über den Letzten Krieg beherbergten hauptsächlich Spekulationen. Zu viel Wissen war durch Virus verlorengegangen.

Dennoch aber hatte sie in jedem Gespräch mithalten können, dass auf diversen Partys über dieses Thema angestrengt worden war. Und hatte festgestellt, dass so mancher mit der Zeit nicht mehr mit ihr darüber sprechen wollte. 'Die weiß doch eh alles besser!', war der Tenor gewesen und diese Worte waren nicht immer freundlich gemeint gewesen.

Besonders unbeliebt hatte sie sich wohl bei Elor Racine gemacht, einem mit mehrfachen Doktortiteln dekorierten Historiker, als sie es gewagt hatte, ihm in einer hitzigen Diskussion zu widersprechen. Kurze Zeit nach Ankunft der Destiny war dies gewesen, und er hatte die Ansicht vertreten, dass dieses Schiff und seine Besatzung - nun ja, was man so noch Besatzung nennen konnte - am Besten wieder dorthin verschwände, wo es hergekommen sei.

Die unglaublichen Chancen, die sich Nowell durch die Ankunft MacArthurs und des hochtechnisierten Schiffes boten, hatte er nicht gesehen. Oder nicht sehen wollen.

Da war sie. Die Destiny. Im Rauschen des Regens war sie nur mehr ein Schemen. Und dieser verdammte Wolkenbruch schien nicht aufhören zu wollen. Hier stand sie nun, bis auf die Haut durchnäßt, die Hose klebte an ihren Beinen, in ihren Stiefeln war bestimmt schon Hochwasser und sie spürte nachgerade, wie die kalte Feuchte ihren Rücken herunterrann. "Widerlich".

Die Mannschleuse stand offen und sie beschleunigte ihren Schritt, der auch vorher nicht gerade ein Schlendergang gewesen war.

Und da stand er, der Captain. Ein Mann aus der Vergangenheit. Beinahe der Einzige, der alles, wirklich alles, über dieses Schiff wußte, mit dem sie nun den Planeten verlassen sollte.

"Amalisa Bryne meldet sich an Bord, Sir."

MacArthur entging die etwas gereizte Stimmung Amalisas nicht, während diese sich noch durch den kleinen Wasserfall kämpfte, der sich von den Tragflächen der Destiny ergoss. Nicht, dass man dafür ein Empath hätte sein müssen. Ein solcher Wolkenbruch konnte jeden zum Wahnsinn treiben.

Trotz aller Vorbehalte angesichts der Rolle, die sie an Bord seines Schiffes spielen sollte, gewann der Gentleman, der Sir des Imperiums hier die Oberhand.

"Ma'am", er deutete eine kleine Verbeugung an, "Willkommen an Bord der Destiny. Und bevor wir uns hier mit ewigen Höflichkeitsfloskeln aufhalten", sein Blick deutete nach oben gen Himmel. "Offiziersquartier Nummer vier ist für Sie vorbereitet, Ihr Gepäck ist an Bord. Schauen Sie, dass Sie sich trocken legen, bevor Sie sich erkälten. Die Formalitäten können wir danach in aller Ruhe erledigen."

Amalisa atmete tief durch. "Danke, Captain", antwortete sie, während sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich. In ihrer Stimme klang immer noch ein wenig Ärger mit, aber sie hatte sich wieder unter Kontrolle. "Ich würde mich tatsächlich gerne umziehen. Niemandem ist gedient, wenn ausgerechnet der Mediziner gleich zu Beginn der Reise ausfällt...", nach einem kurzen Nicken MacArthurs verließ sie die Mannschleuse.

Einen Moment blickte er der Frau hinterher, wie sie im Schiff verschwand. Sein Blick fiel auf die offene Backbord Ladeschleuse. Er ging am Schiff entlang darauf zu, sich immer unter dem Schutz des Rumpfes haltend.

Der Frachtraum war fast voll, dicht gedrängt vor allem mit Rationen und Ersatzteilen. Es erinnerte ihn daran, dass noch eine Menge Papierkrieg auf ihn wartete. Commander Porter hatte mit Sicherheit bereits gute Vorarbeit geleistet, aber letztlich war er derjenige, dessen Unterschrift die Bürokraten sehen wollten.

Innerlich dankte er einer ganzen Reihe nicht näher benannter Götter, dass er sich erst einmal von dieser Bürokratie entfernen würde. Das Imperium war in dieser Beziehung ja schon nicht schlecht gewesen, aber der Papierkrieg, den diese Demokratie verursachte, der schlug definitiv alles, was ihm bisher untergekommen war.

Er wandte sich wieder um und blickte auf die Uhr. Es wurde langsam Zeit, selbst an Bord zu gehen. Der Rest der Crew würde sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Und falls doch... Auch das würde Porter in seiner gewohnt effizienten Weise regeln.

Amaro beobachtete von einem Fenster des Terminals aus wie sich Mac Arthur im Laufschritt zum Schiff bewegte. Auf eine gewisse Weise mochte er den großen Mann. Vielleicht lag es aber daran, dass er ihn akzeptierte wie er war. Gerade mit seinen ihm selbst noch manchmal unheimlich vorkommenden Fähigkeiten. Als er den langen Weg zum Ausgang Richtung Schiff ging, erinnerte er sich an das Einstellungsgespräch, das Mac Arthur mit ihm geführt hatte.

Rückblick: Damber, Keachi Field, Militärgarnison, vor zwei Monaten

Amaro saß in dem sterilen Raum und wartete auf den Personalrekrutierer. Ein Gespräch nach dem anderen hatte er bisher mit Erfolg hinter sich gebracht und kam seinem Ziel Mitglied der Crew auf der Destiny zu werden immer näher. Nun hörte er Schritte auf dem Gang und beobachtete wie sich die Klinke der Türe nach unten drückte. Ein großer Mann betrat den Raum. Amaro blickte überrascht auf. Ihn hatte er nun noch nicht erwartet: Mac Arthur, den Kommandanten der Destiny.

Er nickte Amaro freundlich zu, der sich beeilte aufzustehen und den Kommandanten zu begrüßen. Sie setzten sich beide und tauschten um das Eis zu brechen belanglose Sätze im Small Talk aus. Dann grinste Mac Arthur Amaro unverhohlen an und warf ihm einen dicken Ordner auf den Tisch. Gleichzeitig fragte er ihn: "Warum wollen Sie auf die Destiny? Ich meine, warum wollen sie wirklich auf die Destiny. Und kommen sie mir jetzt nicht mit dem üblichen Geschwafel." Seine Stimme war mit einem Male bitter ernst und hatte neben dem Befehlston einen leicht bedrohlichen Touch angenommen.

Amaro rückte eingeschüchtert ein bisschen mit dem Stuhl vom Tisch weg. Er blickte den Mann an und versuchte aus seiner Haltung irgendetwas herauszulesen. Obwohl er sonst immer etwas in Erfahrung bringen konnte, sagte ihm diesmal dieser Mann gar nichts. Irritiert wanderte sein Blick auf die Akte vor ihm. Keine Überschrift war darauf zu lesen. Völlig aus dem Konzept gebracht, stotterte Amaro "Ich … ich will mit dem Computer arbeiten", als Antwort.

"Sie wollen mit dem Computer arbeiten…" wiederholte Mac Arthur. "Interessiert Sie nicht der Raum? Die anderen Planeten? Das Abenteuer?", fragte er nun die normal üblichen Antworten ab.

Amaro blickte den Kommandanten mit einem Blick von, was willst Du von mir, und wiederholte ernsthaft: "Nein, ich will mit dem Computer arbeiten, nichts anderes. Was sollte ich denn sonst auf Ihrem Schiff wollen?"

'Was war denn das für eine Antwort‘, dachte sich Mac Arthur verwundert und stand auf. 'Zeit diesem Burschen den Zahn zu ziehen. Bin gespannt wie er darauf reagiert‘. Er lehnte sich nach vorne und stütze sich auf den Tisch leicht ab. Mit fragender Stimme fügte er an: "Aber in Ihrem Fall fragt sich nur, wer Ich denn nun eigentlich ist? Wen soll ich nun auf die Liste setzten? Amaro Ex oder Armand Andreati?"

Amaro zuckte bei dem Namen zusammen. Traute er doch gerade seinen Ohren nicht. Es verschlug ihm fast die Sprache. "Wen?", frägt er nach.

Mac Arthur deutete auf die Akte und flüsterte nun fast: "Oder soll ich Marco Darn aufschreiben?"

Amaro schlug zitternd die Akte auf. Auf seinem Gesicht war sowas wie Panik abzulesen. Sie war gespickt mit alten Zeitungsmeldungen. Die meisten kannte er in- und auswendig. Widerwärtige Erinnerungen, die er versucht hat mit aller Macht in die letzte Ecke seines Bewusstseins zu verbannen, drängen wieder nach oben. Er schüttelte verzweifelt den Kopf um die Bilder wieder los zu werden. "Das ist unmöglich", sagte er und blickte Mac Arthur an. In seinem Gesicht spiegelte sich Neugier wie Schock. "Wie konnten Sie das herausfinden. Es gibt keinerlei Techniken, noch Programme auf dieser Welt, die meine Verschleierungsprogramme und falsche Pfade bisher entschlüsseln können."

Mac Arthur grinste wieder und dachte: 'Das ist wahr. Kein Rechner auf dieser Welt kann das,‘ und es hatte selbst mit seinen Möglichkeiten lange gedauert, bis er diesen Mann restlos entschlüsselt hatte. Die anderen Passagiere dagegen, die er routinemäßig überprüfen ließ, waren schnell durchleuchtet gewesen. Aber dieser hier war etwas anderes. Und dann spürte er einen sanften Druck an der Schläfe. Ruckartig fuhr Mac Arthur hoch, ging in eine Verteidigungsposition und brüllt Amaro an: "Raus aus meinem Kopf! Sofort!"

Amaro zuckte vor Schreck noch weiter zusammen. "Aus ihrem Kopf? Aber ich hab doch nichts getan", stotterte er. Er blickte den Mann vor ihm und verstand nicht warum er nichts von ihm empfinden konnte. 'Wieso regt er sich denn so auf? Es ist doch wirklich nichts passiert‘, beschwichtigte er sich selbst.

"Hören Sie auf mich zu beschwichtigen!", schrie Mac Arthur ihn verärgert an.

"Aber ich mach doch nichts, gar nichts. Was zum Teufel wollen Sie denn von mir?", fluchte Amaro verwirrt zurück.

Mac Arthur starrte Amaro böse an. 'Entweder ist das ein verdammt guter Schauspieler oder er hat keine Ahnung über welche Fähigkeiten er verfügt‘ dachte er. Und dann fügte sich ein Puzzleteil nacheinander für ihn zusammen. 'Er weiß es nicht‘, stellte Mac Arthur fest. "Wissen Sie was ein Psioniker ist? Schon einmal davon gehört?" fragte er daher mit nun ruhigerer Stimme und entspannte sich etwas.

"Ein Psioniker?", fragte Amaro nach und dachte bei sich. 'Was zur Hölle will der Kerl von mir. Erst lässt er meine Identität auffliegen, dann schreit er mich wie wahnsinnig an und jetzt fragt er mich was ein Psioniker ist. Ist der noch bei Trost?' "Sie wollen mich wohl verkackeiern. Seit dem Fall des Imperiums gab es keine Psioniker mehr." Und dann weiteten sich seine Augen. "Sind sie einer? Haben Sie es so rausfinden können?", fragte er laut nach.

"Nein, aber Sie sind einer", stellte Mac Arthur fest.

Amaro blickte ihn überrascht an. "Das … ist unmöglich. Das glaube ich Ihnen nicht.", sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf.

"Doch, das sind Sie. Nur auf diese Weise ergibt das alles einen Sinn. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich erkläre ihnen welche unterschiedliche Fähigkeiten Psionisch begabte Menschen haben und im Gegenzug erklären Sie mir, wie sie diese Identitäten aufbauen konnten. Sie haben hierbei Programme von einem Niveau verwendet, welches hier nicht zu finden ist", fragte Mac Arthur nun etwas ruhiger mit geduldiger Stimme.

Amaro nickte zustimmend. Er war geschlagen. Aus diesem Raum gab es für ihn kein Entkommen. Das war ihm klar. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt, die Traumkarte und doch wieder verloren. Es gab keinen Grund sich dem Vorschlag dieses Mannes zu verschließen. Daher fragte er neugierig nach: "Sie meinen das also wirklich ernst?"

Mac Arthur nickte.

Amaro seufzt zustimmend als er sagt: "Also gut, tauschen wir unsere Informationen aus."

Die nächsten Stunden erklärte Mac Arthur viel über die psionische Begabungen und Amaro erzählte ihm seinerseits alles über sich und was er sonst noch wissen wollte. Das Gespräch hatte eine andere Wendung genommen als ursprünglich gedacht und letzten Endes war es Amaro immer noch ein Rätsel warum er die Stelle dennoch bekommen hatte.

Inzwischen hatte er den Ausgang erreicht, machte ein paar Schritte im strömenden Regen auf die Destiny zu und erstarrte. Vor ihm spürte er sehr starke Aggression. Hier musste gerade noch jemand durchgegangen sein, der extrem angesäuert und wütend war. Amaro blickte nach vorne zur Mannschleuse und konnte dort gerade noch einen Schatten das Schiff betreten sehen. Er zuckte mit den Achseln nach dem Motto geht mich nichts an, werde mich bestimmt nicht einmischen und betrachtete das Schiff. Die Destiny kam ihm nun riesig vor. Sein Blick wanderte von links nach rechts. 'Ich bin tatsächlich hier. Ich habe es geschafft!‘, dachte er. Völlig fasziniert, bemerkte er nicht einmal wie der Regen seine Kleidung mehr und mehr durchdrang. Er stand einfach nur da und starrte ungläubig das Schiff minutenlang an. Tränen des Glücks mischten sich zwischen dem Regenwasser, das über sein Gesicht nach unten lief.

Erst jetzt fiel MacArthur die Gestalt auf, die in einiger Entfernung zur Destiny in der Nähe einer der Baracken im strömenden Regen stand. Er glaubte Amaro darin zu erkennen, was aber auf diese Entfernung nicht ganz eindeutig war.

"Mensch, kommen Sie unters Dach, Sie holen sich noch den Tod!", rief er der Gestalt zu, während er sie zu sich winkte. Seine kommandogewohnte Stimme schaffte es mühelos, den Regen zu übertönen.

Amaro ließ sich vom Regen durchdringen. Er atmete inzwischen tief aus dem Bauch heraus. Es war ihm, als könnte er Abt Konstantin aus dem Kloster sagen hören: "Atme tief aus dem Bauch heraus. Schließe die Augen und lass die Umgebung auf Dich wirken. Visualisiere Dich in die Mitte und lass die Energie fließen." Ein verstohlenes Lächeln stahl sich auf das Gesicht Amaros. Jetzt spürte er nur noch wie die verärgerte Präsenz sich etwas beruhigte und mit einer unbändigen Vorfreude im Schiff verschwand.

Nun war er allein. Er konnte keine andere Präsenz wahrnehmen und genoss den Frieden, der in umgab wie eine zweite Haut. Dies würde wahrscheinlich das letzte Mal sein für lange Zeit sein, an der keine Störgeräusche an ihn herangetragen werden. Zumindest bis er die erste Datei, die er von MacArthur bekommen hatte richtig durchgenommen hatte und die darin angegebenen Übungen perfekt beherrschte. Mit Ihnen würde er sich gedanklich von der Umgebung abschotten können. Er freute sich auf diese Ruhe, wusste jedoch, dass er dafür hart an sich arbeiten musste. Aber, allein  dass war es wert mit auf diese Reise zu gehen. Dies und der Computer natürlich.

Amaro wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er die Stimme des Captains hörte und öffnete wieder die Augen. Sein erster Blick ging zu der Mannschleuse und wanderte nachdem er dort niemand fand zu der Ladeschleuse. Dort sah er MacArthur ihm zuwinken.

'So viel zur letzten Ruhe', dachte Amaro und winkte dem Kommandanten zurück. Er machte nicht erst den Versuch, zurückzurufen. Ihm war klar, dass er im Gegensatz zu MacArthur nicht mit seiner Stimme gegen den Regen ankommen würde. Also machte er sich stattdessen gemächlich zu der Ladeschleuse auf. Die Einladung mochte er auf keinen fall ablehnen.

Commander Rex T. Porter blickte kurz von seiner dicken Inventarliste in der Hand auf, als die Stimme von Captain MacArthur von draußen in den Frachtraum herein schallte. Erst jetzt bemerkte er den strömenden Regen, der sich wie Bindfäden vor der Backbord-Ladeschleuse ergoss. Schon seit Stunden wühlte er sich zusammen mit Marvin "Greenhorn" Silver durch die beinahe unendlich langen Materialbestandslisten und zwischenzeitlich hatte er schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass sie es bis zum Abflug der Destiny schaffen würden sie ab zu arbeiten. Doch inzwischen sahen sie Licht am Ende des Tunnels. Nur noch eine handvoll Posten wehrten sich hartnäckig dagegen gefunden zu werden.

"100 Gros sich selbstdichtende Schaftbolzen. Materialnummer 14400-NX-74205. Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben", rief Rex in Richtung des hinteren Bereich des Frachtraums, aus dem ein vernehmliches Poltern zu hören war. "Ich habe hier schwarz auf weiß die Unterschrift des Lademeisters, dass die Kisten an Bord dieses Schiffes gebracht wurden. Das heißt für uns, sie müssen hier irgendwo zu finden sein." Ein erneutes Rumpeln begleitet von einem unterdrückten Fluch, kurz bevor Marvins kratzige Stimme an sein Ohr drang.

"Ich stimme Ihnen in dem Punkt der schriftlich protokollierten Anwesenheit ja vollkommen zu", klang es ein wenig genervt von Silver. "Aber wenn ich es Ihnen sage, es sind nicht hier." Die kräftige Gestalt des Marine First Class erschien im schmalen Gang zwischen den vielen Kisten und kam auf ihn zu. Mit einer schnellen Handbewegung klopfte er sich den Staub von der Uniform und blieb dann vor dem Commander stehen. "Solange wir nicht wissen, wer genau die Kisten wohin gestellt hat, kommen wir hier meiner Meinung nach nicht weiter."

Rex überlegte kurz und nickte dann widerstrebend. "Sie haben recht. Verschieben wir das auf später. Ich werde es auf der Liste der noch zu erledigenden Dinge notieren. Ich denke, wir haben noch ein paar andere wichtige Dinge vor dem Abflug zu erledigen. Vielen Dank Marine."

Er ließ sich die Inventarliste abzeichnen und klemmte sie sich unter den Arm. Mit einem kurzen Gruß entließ er den jungen Mann und schritt dann zur Ladeschleuse. Vorsichtig warf er einen Blick hinaus in das scheußliche Wetter. Gott sei Dank war es drinnen trocken gewesen, auch wenn es zwischendrin vielleicht nicht geschadet hätte, ein wenig mit Wasser herum zu hantieren anlässlich der Unmengen Staub, der ihnen überall begegnet war bei ihrer Inventur. Es juckte ihm jetzt noch die Nase, doch er unterdrückte den Reflex und streckte stattdessen den Kopf raus, um nach MacArthur zu schauen. Er entdeckte ihn auch sogleich vor der Mannschleuse, wie dieser raus in den Regen blickte, eine nasse Person beobachtend, die sich gerade auf sie zu bewegte. Rex brauchte einen Augenblick, um unter der triefenden Gestalt Amaro Ex zu erkennen.

"Captain?", rief er seinem vorgesetzten Offizier zu, bevor Amaro bei ihnen war. "Hätten Sie gleich mal einen Augenblick Zeit für mich?"

MacArthur wandte seinen Blick wieder in Richtung der Frachtluke und entdeckte dort seinen ersten Offizier. Das Klemmbrett unter seinem Arm bewies nur zu deutlich, dass er mit seinen Gedanken wohl den Nagel auf dem Kopf getroffen hatte. Die Pflicht hatte ihn also wieder eingeholt.

'Also dann', er gab sich einen inneren Ruck und ging hinüber zum Frachtraum. Amaro würde ohnehin noch ein oder zwei Minuten brauchen, so gemütlich wie er durch den Regen schritt. Das Schiff musste einen enormen Eindruck auf ihn machen. Aber das war nur zu verständlich - Raumschiffe waren hier schon ein Anblick, der selten genug war. Aber die Destiny fiel selbst unter ihnen deutlich aus der Reihe. Und Amaro hatte sie noch nie mit eigenen Augen gesehen. Bis auf Amalisa Bryne war noch keiner der Zivilisten in der Nähe des Schiffes gewesen. Die strengen Sicherheitsbestimmungen hatten dies bisher verboten.

Er nickte Porter zur Begrüßung kurz zu. "Selbstverständlich, Commander Porter. Worum geht es?"

"Die Ladeinventur ist soweit abgeschlossen", empfing Rex den Captain der Destiny und reichte ihm das Klemmbrett. "Einzig die folgenden Positionen sind zur Zeit unauffindbar. Wir haben das ganze Schiff links gemacht und laut Papieren müssten sich die gesuchten Gegenstände auch an Bord befinden, doch bisher waren wir erfolglos. Es sind alles keine wirklich lebensnotwendigen Materialien und ich habe es auch schon auf die Liste der noch zu erledigenden Aufgaben eingetragen, aber ich denke, wir sollten erst einmal die wichtigeren Abschlussarbeiten erledigen, damit wir pünktlich starten können."

Er beobachtete kurz MacArthurs Blick bei der Durchsicht der Unterlagen, bevor er fortfuhr.

"Bisher sieht es gut aus, wir liegen ordentlich im Zeitplan; einzig hinter der Ankunft der restlichen Besatzung steht noch ein Fragezeichen. Ich hoffe, sie werden in den nächsten Stunden alle hier eintreffen."

MacArthur nickte zufrieden. Um das Eintreffen der Besatzung machte er sich noch keine Sorgen. Und falls sich doch einer der Neuzugänge eine Verspätung erlauben sollte, würde er Broxter das auf seine unnachaahmliche Art regeln lassen.

Was allerdings die unvollständigen Frachtlisten betraf, so war dies kritischer. Unvollständige Ladelisten waren so alt wie die Raumflotte des dritten Imperiums. Solange man sich in den Grenzen des erforschten Raumes bewegte, war dies eine Sache. Aber sie sollten in das Unbekannte vorstoßen. Also stand ein weiteres Gespräch mit den Bürokraten an.

Sein Blick fiel auf Amaro, der gerade die letzten Meter zum Schiff zurücklegte. Vielleicht konnten sie selbst ein wenig wirken.

"Commander, was die Besatzung betrifft, so ist Dr. Bryne soeben eingetroffen und hier kommt Dr. Ex, unser Computerexperte", er wandte sich zu Amaro um. "Dr. Ex, Willkommen an Bord. Dies ist Commander Porter, mein erster Offizier", stellte er die beiden einander vor.

"Da kommt mir eine Idee, Commander. Ich werde zwar in jeden Fall sehen, dass wir so viele der fehlenden Ladegüter nachgeliefert bekommen, wie möglich. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass ein guter Teil der Elektronik auf dem Weg zum Schwarzmarkt ist. Ich möchte, dass Sie sich mit Dr. Ex zusammen vor unsere Wundertüte setzen und sehen, ob sie die Spur der fehlenden Ware noch zu Fassen bekommen."

Amaro ging zu den beiden Männern und nickte erst dem Captain und dann dem Commander glücklich zu. "Captain, Commander Porter, es ist mir eine Ehre. Was für ein wundervoller Tag!", sagte er ernsthaft und reichte dem Captain und anschließend dem Commander zur Begrüßung die nasse Hand.

"Sie haben Probleme mit der Fracht?", fragte er rhetorisch in die Runde. Zum Captain gewandt fragte er: "Wie viel Zeit habe ich um alles zu besorgen?", und grinsend fügte er an, "und wie weit darf ich dabei gehen?"

MacArthur überlegte nur einen Moment. Der dreiste Versuch, wertvolle Versorgungsgüter von der Destiny zu stehlen, ging ihm gehörig an die sprichwörtlichen Nieren. Das Grundproblem war ja nichts Neues, aber die Dimension hier hätte jeder korrupten imperialen Basis Ehre gereicht. Von den Steueranlagen des Sprungtriebwerks und der Fusionsmeiler über Verarbeitende Module des Bordcomputers bis hin zu den Emittern der elektronischen Störsysteme... überall hatten sich die Unbekannten bedient.

Ohne nachgerechnet zu haben betrug der rein rechnerische Schaden locker mehrere Millionen imperiale Credits. Berücksichtigte man aber, dass die Herstellung dieser Teile nicht nur die Industrie sondern auch die wissenschaftlichen Institute vor enorme Herausforderungen gestellt hatte, dürfte der reale Wert ungleich höher liegen. Und was der Schwarzmarkt für einen Teil dieser Hardware hergeben würde, daran wollte Jonathan lieber gar nicht denken.

Eines war allerdings klar. Einen solchen Deal konnte man nur einfädeln, wenn man Verbindungen in den höheren Gefilden der Kommandohierarchie hatte. MacArthur fiel spontan mehr als ein hochrangiges Mitglied der Navy ein, dem er eine solche Kiste zutrauen würde.

Unwillkürlich schlich sich ein Grinsen auf das Gesicht des Captains. Zumindest einer dieser Köpfe würde die nächsten Tage in einige Erklärungsnot kommen, soviel schwor MacArthur sich in diesem Moment.

Und Amaro war der Trumpf, mit dem der Unbekannte nicht rechnen würde. Noch immer war er sich nicht endgültig darüber im Klaren, wie es dieser unscheinbare Mann geschafft hatte, beinahe die gesamte Computerwelt der Republik an der Nase herumzuführen. Einmal mehr wünschte er sich, eines der wenigen vertrauenswürdigen psionischen Institute im Zugriff zu haben.

So unwahrscheinlich es war, aber Jonathan vermutete stark, dass Amaro nicht nur ein Telepath war, sondern auch das, was man in eingeweihten Kreisen einen Computerempathen nannte. Aber auch diese Frage würde er noch klären, da war sich MacArthur sicher.

"Wie weit?", wiederholte er kurz die letzte Frage Amaros. "Soweit wie nötig. Ich möchte wissen, wo unsere Ersatzteile gelandet sind und wer hier wen gedeckt hat. Natürlich je schneller, desto besser, unser Start ist eigentlich für morgen Abend vorgesehen.

Wenn Sie uns einen Ort liefern, dann wird uns die Nighthawk hinbringen. Ich bin überzeugt davon, dass es Sergeant Major Broxter einen weiteren Übungseinsatz zu schätzen wissen wird. Und ein paar Flugstunden dürften unseren Piloten nicht schaden. Bitte geben Sie mir umgehend durch, wenn die Besatzung vollständig ist.

Haben Sie noch Fragen?"

Amaro schüttelte verneinend den Kopf. Zu Commander Porter gewandt sagte er: "Wären Sie bitte so freundlich und schicken sie mir gleich eine Kopie der Bestandsliste bzw. welche Teile fehlen. Markieren Sie am besten die wichtigsten. Ich mache mich gleich an die Arbeit und melde mich bei Ihnen sobald ich mehr weiß.“

Dann grinste Amaro die beiden glücklich an und ergänzte: "Das ist ein klarer Fall für Spürnase Jameson, ich bin gespannt, wie er mit dem Computer hier zusammenarbeiten wird.“

Er nickte respektvoll und verschwand durch den Aufgang zum Hauptdeck, dabei entwich ein gesummtes "Oh happy Day..." seinen Lippen.

Mit einem gemurmelten "Da bin ich mal gespannt", blickte Rex dem zukünftigen Computerprofi der Destiny hinterher. Er war sich immer noch nicht sicher, was er von Amaro halten sollte. Nach dessen Einstellung hatten sich der Captain und er über Ex unterhalten und die Informationen über die psionischen Fähigkeiten hatten nicht gerade zu seiner Beruhigung beigetragen. Ihn ein Pulverfass zu nennen wäre wahrscheinlich übertrieben, doch eine Person mit einer solchen Vita, auf einem Schiff mit einer kleinen Crew, weit weg der Heimat ganz auf sich allein gestellt ... vielleicht sollte er noch einen Psychologen anfordern. Er schüttelte den Kopf und vertrieb die negativen Gedanken; jetzt war nicht die Zeit für Pessimismus. Das Schiff würde sehr bald starten und es gab reichlich Arbeit.

"Wenn wir was bezüglich des Schwarzmarktes herausfinden sollten, werde ich Master Sergeant Broxter informieren. Ich denke, er wird seine Freude damit haben", bemerkte Rex mit einem breiter werdenden Grinsen, während er in Richtung Mannschleuse nickte, wo der gerade Angesprochene stand.

"Definitiv", stimmte MacArthur zu. Broxter und sein Team waren für Kommandoeinsätze jeglicher Art ausgebildet. Sollten sie tatsächlich eine Spur der Schmuggler finden, würde diesen eine böse Überraschung bevorstehe.