Die Odyssee

Sektor Massilia, Subsektor Ten Suns, Planet Huon (0223)
Im April des Jahres 1127 imperialer Zeitrechnung

Das All war so still wie immer. Indifferent, angesichts der teils gewaltigen Schlachten, die im Massilia Sektor zwischen den lokalen Streitkräften und dem Ursurpator - einem der vielen - aus Zarushagar tobten. Insbesondere die Grenze zwischen Oasis und den Ten Suns war in den letzten Monaten der Schauplatz vieler Gefechte gewesen.

Huon spielte dabei eher eine untergeordnete Rolle. Ein atmosphäreloses Stück Fels, keine 2.000 Kilometer im Durchmesser. Alles in allem unauffällig und eigentlich wertlos. Zwei Asteroidengürtel und ein Gasriese waren alles, was hier sonst noch um einen gewöhnlichen gelben Stern kreisten.

Vor zehn Jahren noch war dies eine der zentralen Forschungswelten des Subsektors gewesen. Ein paar Millionen Menschen lebten dort und sorgten dafür, dass der technische Höhenflug des Imperiums weiterging.

Bereits in den ersten Wirren des Bürgerkrieges fanden hier mehrere Angriffe statt, die in den landwirtschaftlichen Orbitalen so schwere Schäden verursachten, dass die Welt zu einem großen Teil aufgegeben wurde.

Erst vor wenigen Monaten hatte man erfahren, dass der Gegner die Anlagen auf dem kleinen Planeten wieder in Betrieb genommen hatte. Mit kleinerer Besatzung fanden hier jetzt militärische Forschungen statt, wie an so vielen Stellen des zersplitterten Imperiums. Man war auf der Suche nach der einen Waffe, die den Krieg entscheiden würde. Gefunden hatte man sie bisher nicht. Nicht in all den Jahrtausenden, die die Menschheit jetzt alt war.

In dieser Stille entstand aus dem Nichts eine dunkle, schnittige Silhouette, etwa eine halbe Lichtsekunde von der Oberfläche des Planeten entfernt.

Kommandobrücke der Destiny

"Transfer in den Normalraum abgeschlossen Captain", meldete Commander Rooksnach, der Astrogator des Schiffes. "Distanz zur Oberfläche ungefähr 160.000 km. Unser Vektor hat eine Abweichung von 1.4° zum Idealkurs zum Orbit, wir haben eine Fahrt von 126 km/s. Korrekturvektor für Bremsmanöver in den Orbit steht."

"Keine Schiffe in unmittelbarer Nähe, nur die üblichen Emissionen einer planetaren Raumüberwachung. Signatur passt zur bekannten Sensoranlage auf Huon. Unsere aktiven Sensorsysteme sind aus, Emissionstarnung ist aktiv", ergänzte Lieutenant Flewalk von der Sensorstation.

Captain Jonathan MacArthur nickte zufrieden und studierte kurz das taktische Hologramm, das in der Mitte der Brücke in der Luft schwebte.  "Gute Arbeit. Mr. Ashill, setzen Sie den Korrekturkurs und bringen Sie uns rein."

Der Pilot nickte und gab einige Kommandos in seine Konsole ein. Die Triebwerke der Destiny erwachten zum Leben und begannen damit, das Schiff mit ihrer Höchstleistung von 5 G abzubremsen. "Kurs liegt an, Captain. Zeit zum Orbit 42 Minuten 16 Sekunden ab ... jetzt."

Die blauen Augen MacArthurs schienen wieder den taktischen Masterplot zu durchbohren. Mittlerweile waren die Symbole noch intakter landwirtschaftlichen Orbitalstationen im Orbit um die Darstellung des Planeten aufgetaucht, noch immer aber war nicht ein einziges Schiff zu sehen.

'Zu ruhig', dachte Jonathan spontan, als er die taktische Lage kurz auf sich wirken ließ. Nicht ein einziges Verteidigungsschiff im Orbit, keine Jägerstaffel auf Patrouille. In den letzten zehn Jahren des Bürgerkriegs hatte er viel gesehen. Die schematischen Darstellungen vieler Welten mit ihren Verteidigern tauchten aus seinen Erinnerungen auf.

Irrationale Gedanken zuckten mit einem Mal durch seinen Verstand.  Gedanken um die Frage, wann dieser Bürgerkrieg ein Ende finden konnte.  Viele Besatzungsmitglieder hatte er in den vergangenen Jahren sterben sehen. Seit er die Insignia eines Captains der imperialen Raumflotte auf der Schulter trug, hatte er für jeden dieser Toten einen Brief an die Angehörigen verfasst. Die Zeilen dieser Briefe, die Gesichter der Toten hatten sich wohl auf Ewig in sein Gedächtnis gebrannt.

Seit über einem Jahr kommandierte er jetzt dieses Schiff und konnte auf eine recht gute Bilanz zurückblicken. Die meisten Einsätze konnte er erfolgreich zum Ende führen. 23 Mann hatte er während der Erfüllung seiner Pflicht verloren. Die meisten davon Bodentruppen. Zumindest, bevor Master Sergeant Broxter auf das Schiff versetzt wurde und die Führung der Bodeneinsätze übernahm.

Eine Person, die ihm nach wie vor viel zu denken gab. Bedingungslos loyal gegenüber dem Imperium im allgemeinen und gegenüber ihm im speziellen. Wodurch er sich allerdings diese Respekt verdient hatte, war ihm nie ganz klar geworden. Er führte ein Elite-Team der Special Forces der Marines an, das seit drei Monaten keinen Verlust mehr zu beklagen hatte. Verletzte ja, aber keinen Toten. Broxters Einheit war eine Tötungsmaschine, die er nicht auf dem falschen Fuß erwischen wollte. Wie sie den blutigen Kampf Mann gegen Mann vertrugen, würde er wohl nie verstehen.

Er gab sich einen Ruck und kehrte in die Gegenwart zurück. Jetzt war der falsche Zeitpunkt für philosophische Anwandlungen. "Mr. Flewalk, die aktiven Sensorsysteme bleiben unten. Immer noch keine Spur von einer Wachflotte?"

Der Lieutenant an der Kommunikations- und Sensorkonsole schüttelte den Kopf: "Nein, Sir, nichts. Noch nicht einmal die Spur eines Jägers auf den passiven Systemen."

MacArthur Geist ging innerhalb von Sekunden die Möglichkeiten durch.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Planet so wehrlos war, wie er sich gab, war gering. Vermutlich befand sich ein größeres Kontingent Jäger auf der Oberfläche des Planeten. Ein oder zwei Systemverteidigungsboote mochten sich zudem hinter dem Planeten befinden und spätestens im Laufe der nächsten Minuten wieder aus dem Ortungsschatten kommen. Mit beidem konnte die Destiny fertig werden, ihre Waffensysteme waren genau darauf ausgelegt.

Die Alternative war wesentlich unangenehmer. Wenn sie aus irgend einem Grund wussten, das er kommen würde, konnten Sie ihm eine Falle stellen.  Ohne aktive Sensoren war es durchaus möglich, dass ihnen Schiffe in einem niedrigen Orbit erst einmal entgingen.

Damit dies funktionierte, mussten sie sie aber erst einmal entdecken.  Und während die Destiny für ihre Tonnage eher leicht bewaffnet war, so war sie ungleich schwerer zu entdecken.

Sein taktisch geschulter Verstand traf eine Entscheidung und er wandte sich an seinen ersten Offizier an der Astrogationskonsole, dessen dunkle Haare in roten Schein der Kampfbeleuchtung einen seltsam metallischen Ton annahmen.

"Johnny, also entweder legen die uns hier gerade einen Hinterhalt oder der Laden hier ist tatsächlich so leer und naiv, wie er sich gibt. Und das glaube ich erst, wenn wir in Ruhe im Orbit liegen. Halte uns bitte immer einen Ausweichkurs parat, der uns schnellstmöglich in sichere Sprungentfernung bringt und programmiere sofort einen Notsprung zurück nach Kirgis. Ich traue dem Braten nicht."

Commander Rooksnach nickte und gab bereits Kommandos in seine Konsole ein, während er antwortete: "Aye, Captain. Die Möglichkeiten sind begrenzt, der Ortungsschatten hinter dem Planeten ist klein und sie müssten wissen, welchen Anflugvektor wir wählen würden..."

Er ließ den Satz im Raum hängen. Beide wussten sie, dass die operative Sicherheit in den letzten Jahren stark gelitten hatte. Daher war es nicht ausgeschlossen, dass ein Kurier den Sprung nach Huon mitgemacht hatte und vor ihnen hier angekommen war. Die Destiny war mit knapp acht Tagen verhältnismäßig lange im Sprungraum verblieben.

"Lieutenant Bright, feuern sie zwei der Aufklärungsdrohnen ab, sie sollen den Planeten an gegenüberliegenden Punkten umfliegen. Keine aktiven Sensoren. Laden sie einen weiteren Satz Aufklärer in den Werfer." - "Verstanden, zwei Aufklärer sollen den Planeten umfliegen.  Zeit zum Ziel: 18 Minuten."

Zwei dunkle Punkte verließen den Raketenturm auf der Oberseite der Destiny und rasten mit 18 G Beschleunigung dem Planeten entgegen. Nun hieß es warten. In den nächsten knapp 20 Minuten würde sich entscheiden, wie gut die Informationen des Geheimdienstes wirklich waren.

Er berührte eine Sensorfläche auf seiner Konsole, und der Computer stellte eine Interkom-Verbindung in das kleine Dock des Schiffes her: "Sergeant Major Broxter, so wie es aussieht, scheinen wir Glück zu haben, ein Kommandounternehmen erscheint möglich." - "Verstanden Sir, wir sind bereit und können jederzeit aufsitzen." - "Gut. Halten Sie sich bereit."

Die nächsten Minuten waren von Schweigen erfüllt, während die verschiedenen Anflugzeiten im taktischen Hologramm nach unten zählten.

Die Destiny war noch rund 48.000 Kilometer vom Planeten entfernt, als die beiden Aufklärungsdrohnen Huon erreichten. Aber noch ehe sie den Planeten umrunden konnten, leuchteten Warnsymbole bei den Symbolen der Drohnen auf. Lt. Flewalk rief gerade die Warnung "Feuerleitradar auf den Drohnen", als die beiden Symbole auch schon verschwanden.

Im gleichen Moment erschienen weitere Warnsymbole beim Planeten, die auf eine stark erhöhte Ortungsaktivität hindeuteten.

Die endgültige Gewissheit, in ein Wespennest geflogen zu sein, machte sich in den Gedanken des Captains breit. Also war es doch ein Hinterhalt gewesen. Sie wussten, dass sie hier waren. Und sie hatten eine recht klare Vorstellung davon, wo sie waren. Anders waren die konzentrierten Ortungsaktivitäten in ihrer unmittelbaren Umgebung nicht zu erklären.

Noch immer sah man keine Raumschiffe, aber er war sicher, dass dies nur noch eine Frage der Zeit war. Er verfluchte sich innerlich, genau die Naivität gezeigt zu haben, die er dem Gegner unterstellt hatte. Aber was hätte er tun sollen? Je länger sie im System blieben, desto unwahrscheinlicher war es, dass sie ungeschoren an den Planeten herankamen.

Die beste Chance für ein Kommandounternehmen - das hatte MacArthur auf die harte Tour lernen müssen - war noch immer die Geschwindigkeit. Jede Minute, die man früher an einem Planeten heran war, war eine Minute weniger, die die Verteidiger für sich nutzen konnten. Mehr als einmal war es ihm so gelungen, Verteidiger mit sprichwörtlich herunter gelassenen Hosen zu erledigen, noch bevor sie sich auch nur nennenswert in Bewegung setzen konnten.

Alles kam jetzt darauf an, was da im Ortungsschatten des Planeten wartete. Daher zögerte er nicht mehr länger. Seine Befehle kamen im abgehackten Stakkato einer Situation, in der es auf Sekunden ankommen konnte:

"Ashill, mit voller Kraft auf den Ausweichkurs, Bright, den Werfer auf Lasersprengköpfe umrüsten und den Bombardierungsplan vorbereiten.  Flewalk, ECM und Funkstörer aktivieren, gehen Sie aktiv. Die Emissionskontrolle ist aufgehoben."

Viel zu langsam begann sich der projizierte Kursvektor wieder vom Planeten weg zu bewegen.

"Ortung! Vom Planeten lösen sich mehrere kleine Flugkörper, Beschleunigung circa 6 G. Feuerleitradar versucht uns zu erfassen.  Vermutlich Jäger der Falcon Klasse, bisher zwölf Objekte in der Ortung."

"Ashill, Feuer frei!"

Ein dumpfes Donnern dröhnte durch das Schiff, als die Waffensysteme des Fernaufklärers das Feuer eröffneten und der Bordreaktor mit einem Mal auf Höchstleistung hochfuhr. Ein Kampf der Feuerleitsysteme der Destiny und ihrer Geschützcrews gegen die Abwehrmaßnahmen der Jäger begann. Es war ein ungleicher Kampf, denn dem leistungsfähige Computersystem des großen Schiffes hatten die kleinen Systeme an Bord der Jäger nicht viel entgegen zu setzen.

Die wenigen Salven der Jäger, die der Destiny hätten gefährlich werden können, zerstoben harmlos im Kristallstaub, den der Sandcaster zwischen die Kontrahenten gelegt hatte. Die Geschütze des Schiffes hingegen fanden nach und nach ihre Ziele. Kaum zwei Minuten dauerte es, bis die zwölf Jäger vernichtet oder nicht mehr kampftauglich waren.

Gerade, als die Situation sich zu Gunsten der Eindringlinge zu wenden schien, ertönte erneut die Stimme Flewalks: "Ortung. Schiff mit Eskorte verlässt Ortungsschatten, vier Kontakte." Er stockte. "Was?" fuhr MacArthur ihn an, als Flewalk erneut schluckte.

Es war kein gutes Zeichen, dass Flewalks Ruhe verschwunden war. Vier neue Symbole erschienen gerade im Hologramm, drei Eskorten und... Jetzt erstarrte auch MacArthur für einen Moment.

Flewalk hatte sich endlich wieder gefangen, aber seine Meldung trug nicht unbedingt dazu bei, die Ruhe auf der Brücke der Destiny wieder her zu stellen.

"Drei Eskorten, vermutlich Systemverteidigungsboote und ein Großkampfschiff verlassen den Ortungsschatten. Der vorläufige Auswertung deutet auf drei Agamemnons und einen Angriffsträger der Wind-Klasse hin."

Eine Sekunde herrschte absolute Ruhe in der Zentrale des Schiffes, als der Kommandocrew klar wurde, was dies bedeutete. Es war tatsächlich ein Hinterhalt. Die Verteidigungsboote stellten noch keine ernsthafte Gefahr dar. Sie waren zu schwerfällig, zu langsam.

Aber der Träger...

Er war für hochmobile Kriegsführung gebaut. Mehr als 6 G Beschleunigung, viele Jäger, die ebenso schnell waren. Wie auf ein unausgesprochenes Kommando erschien ein weiterer Schwarm Jäger hinter der Wind und begann zur Seite auszuschwärmen.

Eine Erschütterung durchlief das Schiff.

"Treffer achtern, keine Schäden" vermeldete Chefingenieur Homill.

Flewalk fuhr fort: "Laser Zielpeilung vom Träger."

"Ashill, Ausweichmanöver!" bellte MacArthur.

Ihm war völlig klar, dass sie mit ihrer Bewaffnung gegen eine Wind nicht die geringste Chance hatten. Ein Seitenblick auf sein Display klärte ihn auf, dass sie kaum 30 Planetendurchmesser von Huon weg waren. Viel zu nah für einen schnellen Sprung in Sicherheit.

Es blieb nur die Flucht. Nur dass man ein Schiff im All nicht einfach so umdrehen konnte. Die Destiny legte in jeder Sekunde noch immer rund 70 Kilometer zurück, die Triebwerke arbeiteten mit Maximallast daran, den Flugvektor in Richtung der Sonne zur Seite zu schieben.

Obendrein hatte der Captain der Wind sein Manöver beinahe perfekt abgepasst. Obwohl sich die Entfernung zu Huon bereits langsam wieder vergrößerte, würde es noch knapp 10 Minuten dauern, bis der Träger in kürzester Entfernung an ihnen vorbeischießen würde.

Mehr dürfte nicht nötig sein, um die Destiny in eine Wolke expandierendes Gas zu verwandeln, stellte MacArthur in seinen Gedanken nüchtern fest. Wenn kein wunder geschah, würde dies der letzte Flug der Destiny werden, so viel war sicher.

Noch leuchteten alle Anzeigen des Schiffsstatus in beruhigendem Bernstein der Kampfbereitschaft, aber es war klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sich dies ändern würde.

MacArthur hieb auf den Knopf der Rundspruchanalge: "Broxter, wir brechen ab. Dein Team sofort auf die Notfallposten", das würde die Geschützcrews und die Schadenskontrollteams verstärken. "Maschine, ich brauche jedes Kilo Schubkraft, was sie aus den Maschinen pressen können, bereiten sie die Sprungtriebwerke für einen Nottransit vor. Alle Mann auf Einschlag..."

Eine fürchterliche Detonation warf das Schiff aus dem Kurs. Warnsirenen heulten auf, als in mehreren Räumen des Schiffes die Luft ins Vakuum des Alls entwich.

Eine Mesonenkanone des Trägers hatte sie getroffen. Oder viel mehr gestreift. Hätte das große Geschütz genau im Ziel gelegen, wäre von der Destiny nicht mehr als eine Gaswolke übrig geblieben. Beinahe die komplette Oberseite des Schiffs war schwer beschädigt. Gut die Hälfte der Sensor- und Kommunikationssysteme waren ausgefallen, ebenso wie der Raketenturm und ein Teil der planetaren Abwehrgeschütze.

Eine Sekundärexplosion erschütterte die Brücke, vermutlich eine Rückkopplung in einer Energieleitung. Die Detonation warf Ashill und Rooksnac von ihren Sitzen - sie blieben in unnatürlicher Haltung auf dem Boden liegen und das Schiff war plötzlich führerlos.

Jonathan lief es im Angesicht des Todes eiskalt den Rücken hinunter.

Verzweiflung übernahm die Kontrolle über ihn, als er mit rasenden Fingern über seine Kommandokonsole flog, die in Sekundenbruchteilen beliebige andere Schiffsfunktionen übernehmen konnte. Er hieb auf ein großes Symbol mit der Aufschrift "Emergency Jump"..

Der Sprunggenerator heulte auf, als er das Schiff mit brutaler Gewalt aus dem Gravitationstrichter des Planeten in den Sprungraum riss.

Flugdeck, nach dem Sprung in den Sprungraum

"Verdammt!", schrie Master Seargent Nathaniel Broxter so laut er konnte, während er gegen die Desorientierung ankämpfte. Mühsam stand er auf und das, was er sah, ließ ihn noch mehr wanken. Mit den Kopfschmerzen kämpfend versuchte er den Helm seines gepanzerten Exoskeletts zu entfernen. Im Jargon Battle Dress genannt, schützte es seinen Träger gegen eine Vielzahl äußerer Einflüsse, die ungeschützt tödlich wären.

Einmal quer durch den Hangar geschleudert zu werden gehörte eindeutig dazu. Erst nach mehrmaligen ruckartigen Reißen löste sich der Helm vom Rest der Panzerung. Mit einem skeptischen Blick betrachtete Nate seinen Helm und den sonst so perfekt abgestimmten Versiegelungsmechanismus. Ohne Zweifel hatte ihn die Rüstung vor einem Genickbruch bewahrt.

Mit nun klarerem Blick erfasste der Seargent seine Umgebung erneut und die jahrelang geschulten Reflexe übernahmen das Kommando. Mit schnellen Schritten ging er jedes Mitglied seines Teams ab. Corporal Resa Brivans. Tot. Seargent Nifer Reson. Tot. Seargent Mary Marte. Schwer verletzt aber wohl halbwegs stabil. Die Gesichtszüge Nates wurden stahlhart. Ein Jahr lang hatte er an der Seite dieser Menschen gekämpft, ihnen sein Leben anvertraut und im Gegenzug ihr Vertrauen gerechtfertigt und sie immer lebend zurückgebracht. Die Schrecken, die sie zusammen erlebt hatten würden Bücher füllen und ihre Taten würden Inhalt von Heldenmythen sein. Zumindest wenn nicht alles der strikten Geheimhaltung unterliegen würde.

Dieser sinnlose Tod hingegen war kaum zu begreifen. Als imperialer Soldat beim Marine Corps war man sich bewusst darüber, dass man höchstwahrscheinlich irgendwann von einem Einsatz nicht zurückkommen würde. Aber völlig unvorbereitet als Kollateralschaden dahin gerafft zu werden war ein unwürdiges Ende für ein Mitglied eines der besten Trupps der Flotte.

Was war bloß passiert? Warum nur? Nate fasste sich erneut mit seiner gepanzerten Hand an den Kopf, als die Kopfschmerzen durch seine Bewegungen wieder stärker wurden. Es war nicht seine Art Geschehnisse zu hinterfragen oder sich über solche moralischen Ungerechtigkeiten Gedanken zu machen. Er war ein Marine. Er musste seine Prioritäten ordnen.

Mit tiefen Atemzügen brachte Nate das Adrenalin und das Rauschen in seinen Ohren unter Kontrolle. Erst jetzt wurde im bewusst, wie ruhig es im Schiff war. Sie waren geprungen. Die Erfahrung des Soldaten sagte ihm, dass dies eigentlich unmöglich geplant gewesen sein konnte, sie waren noch viel zu Nahe an Huon heran gewesen.

Mit einem Brummen ignorierte Nate auch diese Gedanken. Es galt so schnell wie möglich die Gefechtsbereitschaft wieder her und die Kommandohierarchie sicher zu stellen. Die leichte Gausskanone, die er für den Bodeneinsatz vorgesehen hatte, im Anschlag wandte er sich zur Nighthawk um. Die Pinasse war eigentlich als Fähre für die Bodeneinsätze gedacht, aber je nachdem wo die Destiny den, womöglichen feindlichen, Raum verlies war es die wahrscheinlich die beste Fluchtkapsel die sie hatten. Nate konnte die Schäden an der Destiny nicht absehen, daher war es ratsam einen Alternativplan zur Hand zu haben.

Mit der Waffe im Anschlag stürmte er in das Beiboot. Als er das Cockpit erreichte wusste er, dass es vordringlich keinen Grund mehr zur Eile gab. Das Sichtfenster bestätigte seine Vermutung das Sie im Sprungraum waren. Aus diesem würden sie frühestens in sechs Tagen wieder in den Normalraum zurückfallen. Zeit genug sich über den Status klar zu werden, während sie in absoluter Sicherheit durch den Sprungraum glitten. Sein Blick glitt vom Fenster in die Pilotensessel und Nate atmete erleichtert auf, als er sah das die Pilotin und der Techniker sich beide in Vorbereitung auf den Einsatz schon angeschnallt in ihren Sitzen befunden hatten. Dennoch hatte auch sie die Heftigkeit des Einschlages überrascht und nicht minder verwirrt. Beide rieben sich die Druckstellen der Gurte, als der Master Seargent das Kommando ergriff.

"Ensign Reson, Lieutenent Dezal. Checken Sie die Nighthwak und begeben Sie sich dann in den Maschinenraum. Wir wurden angegriffen und der aktuelle Status der Destiny ist unklar. Ich werde den Captain aufsuchen.  Verstanden?", bellte Broxter die beiden an. Nominell waren sie Offiziere und er nur Unteroffizier. Aber er war ein Master Seargent der Special Forces der Marines. Sie wurden gerade dann eingesetzt wenn es keinen Ausweg mehr zu geben schien und niemand an Bord der Destiny würde auf die Idee kommen in einer Notfallsituation gegenüber Broxter seinen Rang
auszuspielen.

Die beiden Jungoffiziere nickten dankbar für die Führung in dieser chaotischen Situation und machten sich an die Arbeit. "Aye Sir, die Nighthawk wird startbereit sein."

Das reichte Nate. Ohne einen weiteren Gruß, die Waffe im Anschlag lief er los. Seine Oberste Priorität war es nun den Captain zu finden.

Kurz vor der Brücke

Schwer atmend schob sich der Master Seargent an den letzten Trümmerstücken auf dem Weg zur Brücke vorbei. Die Destiny war kein riesiges Schiff, aber die Schäden des Angriffes schienen bei weitem besorgniseregender als gedacht. Nun fand Nate sich nun vor einer verzogenen Luke wieder. Der elektrische Schließmechanismus funktionierte nicht und der Rahmen war samt Tür verbogen. Ohne zu Zögern griff Broxter in seinen Rücken um aus einem Fach in seines Kampfpanzers einen Sprengsatz herauszuholen, der genau für solche Begebenheiten gedacht war.

Er hatte schon unzählige Türen aufgesprengt, so dass seine trotz Panzerung erstaunlich geschickten Finger die Arbeit fast allein bewältigen konnten. Dabei rasten ihm immer wieder dieselben Gedanken durch den Kopf: Was war mit dem Captain? Das interne Kommunikationssystem war ausgefallen und während seines Gangs durch das Schiff hatte er niemand anderen Lebenden gesehen.

Nate hatte dem Imperium und seinen Repräsentanten die Treue geschworen. Jonathan MacArthur war nicht nur der Captain des Schiffes sondern auch ein Sir des Imperiums. Er war von Adel und dies nicht aufgrund seiner Abstammung sondern durch seine Verdienste und seiner Loyalität. Er repräsentierte das wofür Broxter durch die Hölle und zurück gehen würde. Der Master Seargent wusste dabei wovon er sprach. In seinen unzähligen Einsätzen hatte er die Hölle mehr als einmal gesehen.Mit drei wuchtigen Schlägen seiner gepanzerten Faust warnte er die dahinter befindlichen Personen kurz vor, bevor er den Zünder betätigte und seinen ungeschützten Kopf vom Sprengsatz abwandte. Ein kurzer heftiger Knall ertönte und bevor dieser verklang warf Nate sich gegen die Tür, die durch die Explosion und seiner Masse nachgab.

Dichter Rauch empfang den Marine der sich hinter der Schwelle automatisch duckte und instinktiv mit dem Gewehr in den Raum zielte.  Schnell lichtete sich die Sichtblockade und verzog sich durch die nun offenstehende Tür in den Gang. Erleichterung durchfuhr Broxter als er sah, dass der Captain lebte. Dieser verarztete in Ruhe die Comm-Offizierin Flewalk, während es um die restliche Brückenbesatzung schlecht beschienen stand.

Kommandobrücke

"Sarge!" Die Überraschung in der Stimme des Captains war nicht zu überhören. Einer der Treffer der Mesonenkanone hatte das Hangardeck getroffen. Ein Wunder, dass dort überhaupt noch jemand lebte. Mesonenwaffen waren und blieben eine teuflische Sache.

"Helfen Sie mir, die Verletzen auf die Krankenstation zu bringen. Danach überlegen wir, wie wir zurück in die Zivilisation kommen." Er deutete auf seine Konsole. "Die Messwerte sind recht eindeutig, der Transit in den Sprungraum war nicht sauber, wir werden wohl irgendwo im interstellaren Nirgendwo wieder herauskommen, und unsere Tanks sind fast leer..."

Schweigen.

Es gab nichts mehr zu sagen.

Sektor Massilia, Subsektor Ten Suns, System Nowell (0526)
Etwa ein Flugtag vom Planeten Nowell entfernt
Im Juli des Jahres 1201 imperialer Zeitrechnung

Seit Wochen bereits liefen die Triebwerke der Destiny und bremsten das Schiff langsam aber sicher ab. Noch schliefen die Überlebenden den traumlosen Schlaf der Stasis. Dann erreichte das Schiff einen unsichtbaren Punkt im Raum und eine vor rund 74 Jahren programmierte Sequenz trat in Aktion.

Nur langsam nahm die Welt vor MacArthurs Augen wieder Gestalt an. Jede Faser seines Körpers brannte und vibrierte. Noch weigerte sein Geist sich, in normalen Tempo zu arbeiten, aber erste Fakten drangen wieder durch die stasisinduzierte Kälte.

Eine Raumschlacht, Treffer einer Mesonenkanone, Schreie, dann die Stille des Hypersprungs. Zwölf Tote. Ein Fehlsprung. Richtig. Der Fehlsprung.  3.87 Lichtjahre abseits der Zivilisation, kaum Treibstoff.

MacArthur schloss die Augen wieder und konzentrierte sich auf seinen Körper. Das militärische Training übernahm die Oberhand und er begann seine Muskeln nach und nach zu entspannen und die Kälte zu vertreiben.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er die Folgen des Hyperschlafs soweit hinter sich gelassen hatte, dass er seinen Beinen wieder über den Weg traute. Vorsichtig erhob er sich und trat hinüber zu den Kontrollen der Kammern... und erschrak.

Vier der fünf noch aktiven Kammern leuchteten im Rot der Schadensmeldungen. Die Kammern hatten der Belastung eines über siebzig Jahre währenden Kälteschlafs nicht stand gehalten. MacArthur blieb schweigend vor der Konsole stehen, wie lange, vermochte er später nicht zu sagen.

Schlussendlich aktivierte er die Aufwachautomatik der verbliebenen, funktionstüchtigen Kammer.

Gegen Abend

Schweigend saßen sich die beiden Überlebenden des letzten Einsatzes der Destiny in der Messe gegenüber. Links Captain Sir Jonathan MacArthur, rechts Master Sergeant Nathaniel Broxter. Bis auf das Brummen des Antriebs war es still, es gab nichts zu sagen.

Zuvor hatten sie die letzten Toten der Schlacht, die die Reise zurück in die Zivilisation nicht überlebt hatten, dem All übergeben, wie es die Tradition der Flotte wollte. Zum zweiten Mal seit ihrer überstürzten Flucht hatte MacArthur in seinem Amt als Captain die Zeremonie durchgeführt.

Jetzt, nur noch wenige Stunden vom Orbit des Planeten Nowell entfernt, näherte sich die Reise ihrem Ende. Und ein unbestimmtes Gefühl sagte MacArthur, dass dieses Ende unter einem ungünstigen Stern stand.

"Noch immer nichts, Sir?" fragte Broxter.

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. "Nein, Sarge, nichts. Ich hätte die Antwort bereits vor Stunden erwartet."

Wieder herrschte Schweigen. Die von MacArthur in Richtung des Planeten abgesetzten Funksprüche waren allesamt unbeantwortet geblieben. Darüber hinaus waren kaum Funksprüche empfangen worden, alle verschlüsselt in einem unbekannten Chiffre.

Noch ein paar Stunden, dann würden sie Gewissheit haben.

Kommandobrücke der Destiny, vier Stunden später

Die Destiny kreuzte gerade die Bahn des einzigen Mondes von Nowell. Über den ausgedehnten Feldern der Welt war nur wenig Flugverkehr.

"Kontakt," gab Broxters ruhige Stimme bekannt. Er saß auf dem Sitz des Waffensystemoffiziers und betrachtete die Informationen, die ihm die noch funktionsfähigen Sensorsysteme des Schiffes zuspielten. "Drei Schiffe tauchen gerade hinter dem Planeten auf, in einem nahen Orbit. Vorläufige Identifikation: Modifizierte Systemverteidigungsboote der Gazellen-Klasse."

"Gazelle?" wiederholte MacArthur ungläubig. "Die waren ja schon steinalt, bevor der letzte Solomanische Grenzkrieg begann." Er gab einige Anfragen in seine Konsole ein und wartete die Antwort des Systems ab. "Das wirkt gerade so, als wären diese Schiffe irgendwo von einem Schrottplatz zurückgeholt und wieder in Stand gesetzt worden, so ungleichmäßig wie die verschiedenen Werte sind."

Broxter nickte, auch er schien aus dieser paradoxen Situation nicht schlau zu werden. "Jetzt senden sie Radarimpulse, sie schwenken auf uns zu. Beschleunigung 3.8 G, der Abfangvektor ist rund 8° zu weit nach Backbord. Der Computer identifiziert das Radar als herkömmliches Impuls-Doppler-Radar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns mit diesem antiken Stück bereits erfassen können. Selbst mit den ganzen Schäden ist unser Radarquerschnitt zu klein."

"Gut. Dann wollen wir uns noch einmal vorstellen. Bevor da noch irgend einer auf dumme Ideen kommt." Er öffnete einen unverschlüsselten Kommunikationskanal, stark genug, um auf der anderen Seite des Systems noch gehört zu werden.

"Hier spricht Captain Jonathan MacArthur, Kommandant des imperialen Fernaufklärers Destiny. Wir bitten dringend um Landeerlaubnis, das Schiff ist beschädigt und wir haben einen Fehlsprung hinter uns. Wir benötigen einen Platz an dem wir in Ruhe unsere Systeme prüfen und die Tanks des Schiffes füllen können."

Keine Antwort.

"Die Schiffe korrigieren ihren Kurs, Sir. Immer noch rund anderthalb Grad abseits, sie schätzen scheinbar unsere Beschleunigung und Entfernung falsch ein. Noch immer kein Transpondersignal von den... Neuer Kontakt! Eine Jägerstaffel verlässt gerade die Atmosphäre. 14 Kontakte, Bauart ist bisher unbekannt."

Gerade als MacArthur seinen Funkspruch wiederholen wollte, sprachen die Empfänger an: "Hier spricht Commodore Ramirez, planetare Verteidigungsflotte der Republik von Nowell. Nowell ist für fremde Schiffe Sperrgebiet. Drehen sie umgehend ab, sie können an den Gasriesen des Systems ihre Tanks füllen. Springen Sie weiter nach Damber, dieses System ist für fremde Schiffe freigegeben. Ich wiederhole, drehen Sie von Nowell ab! Ramirez, Ende."

Irritiert blickten die beiden Überlebenden sich an. Was sollte das denn bedeuten?

MacArthur aktivierte erneut das Mikrophon der Funkübertragung: "Commodore Ramirez, die Systeme dieses Schiffes sind beschädigt, jeder weitere Sprung birgt ein hohes Risiko eines weiteren Fehlsprungs. Dieses Risiko werden wir nicht eingehen. Wir sind gerade erst 75 Jahre durch den interstellaren Raum geflogen, und dabei hatten wir vermutlich noch Glück. Ich wiederhole: Wir sind nicht mehr sprungtauglich. Dazu reichen unsere Treibstoffvorräte nicht mehr bis zum nächsten Gasriesen."

"Captain, es mag sein, dass Sie in keiner angenehmen Situation sind. Aber wir hier werden nicht das Risiko eingehen, eine bisher unbekannte Form des KI-Virus einzuschleppen. Verlassen sie das Gebiet um Nowell und fliegen Sie weiter nach Damber. Meine Befehle in dieser Beziehung sind eindeutig und dulden keine Ausnahme, dazu stehen zu viele Leben auf dem Spiel. Sie haben fünf Minuten um abzudrehen. Ramirez, Ende."

Warnsymbole erschienen auf dem taktischen Plot. Anscheinend hatten die Radarsysteme der fremden Schiffe sie jetzt erfasst. Die unmittelbar folgende Kurskorrektur schien diese Vermutung zu bestätigen.

Sprachlos betrachtete MacArthur das Symbol des Führungsschiffes, in dem wohl dieser Commodore zu finden war. Was war in den letzten 75 Jahren geschehen? Ein KI-Virus? Was sollte das sein? Er glaubte nicht, dass es sich hier um eine Farce handelte. Die unterschwellige Angst in der Stimme des Commodores war ihm nicht entgangen.

Was auch immer in den letzten 75 Jahren geschehen war, es hatte weite Kreise gezogen. Dies schienen auch die alten Schiffe zu bestätigen, die hier im Einsatz waren. Und dann: Die "Republik von Nowell". Irgendwer war hier größenwahnsinnig geworden. Oder war das Imperium immer weiter zerfallen? Wie damals während der langen Nacht? Konnte das sein?

MacArthur wandte sich an seinen verbliebenen Mitstreiter: "Sarge, einen weiteren Sprung mit diesem Schiff durchzuführen, grenzt an Wahnsinn. Und selbst wenn wir einen Gasriesen erreichen, die Außenzelle des Schiffs ist zu beschädigt, als dass wir damit in die Hülle eines Gasriesen eintauchen könnten. Es ist Nowell, oder wir geben das Schiff auf."

Broxter blickte dem Captain direkt in die Augen. Einen Moment später nickte er. "Gut, dann landen wir", antwortete er lapidar.

Grundlos das Schiff aufzugeben kam für die beiden nicht in Frage. Der Captain öffnete zum dritten Mal einen Kommunikationskanal:

"Commodore Ramirez, sie können ihre Befehle bei sich behalten. Wir haben keine andere Wahl, als dieses Schiff zu landen. Ob mit oder ohne ihren Segen. Wir werden jetzt eine unbesiedelte Region des Planeten anfliegen, dort landen, das Schiff soweit durchchecken, dass wir einen Sprung nach Damber riskieren können. Es wird keinen Kontakt zu Ihrer Zivilisation geben, wenn Sie dies nicht wollen. Davon abgesehen: Dieses Schiff ist sauber, keine Viren, nichts. Ich weiß nicht einmal, wovon Sie reden.

Wenn Sie sich uns in den Weg stellen, bedenken Sie eines: Dieses Schiff ist keineswegs wehrlos. Wir haben mehr als zehn Jahre Krieg hinter uns. Wir haben keine Angst vor dem Tod. Ich hoffe, sie auch nicht. MacArthur, Ende."

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: "Raketenabschuss", meldete Broxter. "Ein einzelner Vogel vom Führungsschiff. Etwas abseits vom Kurs, 12 G Beschleunigung, keine Gegenmaßnahmen. Zeit zum Einschlag unter dieser Geometrie drei Minuten, 27 Sekunden ab .... jetzt."

"Ein Warnschuss" konstatierte MacArthur nach einem kurzen Kontrollblick auf die Daten der Rakete.

"Sarge, holen Sie das Ding runter. So früh wie möglich und so präzise wie Sie es nur hinbekommen. Am besten mit den Fusionskanonen, das ist spektakulärer. Zeigen Sie ihnen, wozu dieser Kahn hier noch in der Lage ist."

Broxter nickte verbissen und konzentrierte sich auf die Waffenkontrollen. Die Entfernung war groß, eigentlich zu groß für ein gezieltes Punktverteidigungsfeuer. Würde der Gegner in irgend einer Form die elektronische Kriegsführung beherrschen, hätten sie wohl kaum eine Chance für so ein Kunststück gehabt.

So aber löste sich kurze zeit später eine einzelne Salve aus dem Steuerbord Zwillingsfusionsgeschütz. Kaum zwei Sekunden später verging die anfliegende Rakete in einer spektakulären Detonation.

Im selben Moment aktivierte MacArthur seinerseits die Störsysteme der Destiny und die Computer des Schiffes begannen ein verhängnisvolles Spiel mit den Ortungssystemen des Gegners. Weiße Wolken erschienen auf den Echoschirmen der Verteidigungsflotte, durchsetzt von immer wieder wechselnden Geisterechos, die von der Signatur der echten Destiny kaum zu unterscheiden waren.

Der Sandcaster verstreute zustäzlich mehrere Ladungen Prismastaub zwischen den Kontrahenten. Man konnte nie wissen.

Erneut war MacArthurs Stimme im halben Sonnensystem zu hören: "Hören Sie, Commodore. Lassen Sie uns diesen Wahnsinn beenden, bevor er angefangen hat. Wir sind nicht ihr Feind. Im Gegenteil. Aber wenn Sie erneut auf uns feuern, werden wir das Feuer erwidern!"

Systemverteidigungsboot Relentless, Kommandobrücke

Fassungslos starrte Ramirez auf die Anzeigen vor seiner Station. Das musste eine Plasmawaffe gewesen sein. Eine Waffengattung, die sie in der Republik nur noch vom Hörensagen her kannten. Sie waren bisher nicht in der Lage gewesen, derartige Systeme wieder nachzubauen. Und dann die Präzision! Seine Schiffe hatte noch nicht einmal eine klare Zielerfassung des unbekannten Schiffes.

Ihm wurde plötzlich klar, dass seine gesamte Verteidigungsflotte bereits im Feuerbereich dieses Schiffes lag, während seine Laserkanonen gerade einmal am extremen Rand ihrer Einsatzreichweite lagen. Und an gezieltes Raktenfeuer war bei dieser Flut an Störsignalen wohl auch nicht zu denken.

Woher kam dieses Schiff?

'75 Jahre im All! - Pah. Das können sie meinem Großvater erzählen', dachte er erneut. Und doch... Käme das Schiff aus der Zeit des letzten Krieges, würde es die technologische Überlegenheit erklären.

Er fasste einen Entschluss. Dies war der falsche Tag, um Blut zu vergießen. Er hoffte nur, dass er diese Entscheidung nicht bereuen würde.

Jonathan MacArthur
Nathaniel "Nate" Broxter