Republik von Nowell, Damber, Highway in Richtung Keachi Field
Der Motor des Anti-Grav Bikes heulte auf als Nate zusätzlichen Schub gab und er sich eine Lücke zwischen zwei Schwertransportern zum Spurwechsel suchte. Das Adrenalin pochte in ihm und dennoch waren seine Bewegungen und bewussten Emotionen absolut unter Kontrolle.
Der Master Seargent der Destiny wusste, dass dies sein vorerst letzter Ausflug auf seinem privaten Motorrad bleiben würde und er wollte ihn vollends genießen. Es dauerte nicht mehr lange und die nur allzu vertrauten Schiffwände der Destiny würden ihn wieder umschließen. Wobei dies nicht ganz stimmte, immerhin wurden einige Umbauten getätigt um unnütze Fracht aufzunehmen. Genau genommen wurde Lagerraum für nützliche Sachen, wie z.B. Munition, eingetauscht gegen Raum für Wissenschaftler und Zivilisten.
Nathaniel unterdrückte ein Seufzen und Kopfschütteln während er weiter auf über zweihundert Kilometern pro Stunde beschleunigte und sich an dem relativ dichten Verkehr vorbei schlängelte. Die Destiny war mit das Topthema der Medien in den letzten Jahren geworden und auch wenn Mission und Ziel eigentlich geheim bleiben sollten wusste es so gut wie jeder in der Republik. Bei dem historischen Ereignis des Aufbruchs zu den neuen oder vielmehr alten Sternen wollten viele wenigstens einen kurzen Blick auf das Schiff aus der Vergangenheit werfen.
Ein letztes Mal hatte Nate die Ausbildungspläne die er entworfen hatte mit den Offizieren besprochen, bevor er nun endlich diesen Planeten verlassen konnte. Er war durchaus stolz auf das was er geleistet hatte. Gemessen an der militärischen Ausbildung die es vor seiner Ankunft hier gegeben hatte, hätte sich Nowell damals ebenso gut mit Stöcken und Steinen wehren können. Es war schlicht unfassbar wie viel Wissen in den letzten siebzig Jahren verloren gegangen war.
Es war nicht alles Gold in der alten Republik aber sie hatte zumindest für Werte eingestanden. Sir Captain McArthur war der beste Beweis dafür und die einzige Autorität die er wirklich akzeptierte. Dieser ganze demokratische Unsinn mit ihren Ränkeschmieden und Intrigen ließen Nate immer wieder an ihrer Mission zweifeln. Aber solange der Captain, trotz der Attentatsversuche auf sein Leben, daran festhielt würde er es nicht in Frage stellen.
Broxter hatte mehr als seine Pflicht getan. Er hatte das Ausbildungsprogramm der Marines grundlegend reformiert und auf sein Bestreben hin wurden neue Strukturen geschaffen. Er hatte Dutzende neue Einsatzteams geformt, geschunden und erschaffen. Er hatte eine neue Generation von Offizieren gelehrt, die noch nie ein ernstzunehmendes Raumgefecht oder gar eine Schlacht erlebt hatten. Doch nun konnten sie endlich wieder aktiven Dienst verrichten.
Das ständig präsente Unwohlsein, welches er auf dem Planeten immer empfand, würde weichen, sobald die Schotten der Destiny sich hinter ihnen schlossen. Dann waren sie wieder in ihrem eigenen Mikrokosmos, in dem die Werte des Imperiums vorherrschten. Egal was das "Oberkommando" sagte. Der Captain hatte die Befehlsgewalt.
Weder die zivile Fracht, noch die vom Militär abgestellten Schoßhündchen. Nate akzeptierte die Befehlskette natürlich, aber im Falle eines Falles war das Wort des Captains und auch der implizite Wille sein Gesetz.
Denn selbst in der Auswahl seines eigenen Einsatzteams hatte die militärische Führung herum gepfuscht. Clifford "Gunner" Roberts war ein exzellenter Spezialist für Schwere Waffen und mit einer der besten Absolventen seines Special Forces Lehrgang. Aber er war nicht seine erste Wahl für diesen Posten. Das Oberkommando hatte ihm einen regimetreuen Veteranen als Stellvertreter zur Seite gestellt. Die Angst das der in der Akademie als "Schrecken aus der Vergangenheit" bekannte Master Seargent einen Putsch auf dem Schiff veranstalten würde war wohl zu groß. Nate würde damit leben müssen.
Wenigstens seine anderen beiden Wunschkandidaten hatte er bekommen. Corporal First Class Jennifer "Phoenix" Clarence und Marine First Class Marvin "Greenhorn" Silver. Auch wenn es nicht hundertprozentig sein Wunschteam war, Nathaniel war überzeugt davon, dass sie gute Arbeit leisten würden.
Nate bremste langsam ab, als er die Zufahrt zum Raumhafen erreichte. Geduldig hielt er mit seinem Motorrad an, während er wartete, dass die Wagen vor ihm die Sicherheitsüberprüfung passierten. Ohne große Hektik setzte er den schwarzen Motorradhelm ab, während die ersten Regentropfen auf seiner ebenso dunklen Lederjacke abperlten. Diese öffnete er leicht und holte seinen versiegelten Ausweis heraus, den er um den Hals trug. Dabei klimperten die Erkennungsmarken des Imperiums wohl vertraut, die sich an dem Band verheddert hatten.
Er würde seine "Hundemarke" niemals ablegen. Er würde auch keine Neue vom Militär der Republik von Nowell annehmen. Er war nach wie vor ein Marine der Special Forces des Imperiums. Er wusste das Imperium musste irgendwo weiter bestehen und sie würden es irgendwann finden. Dann würde er auch die Beförderung annehmen, die ihn immer wieder angeboten worden war. Aber bis dahin würde er sich nicht in eine, aus Sicht des Imperiums, Miliz eines kleinen Königreichs eingliedern.
Nate würde sein Leben für die Republik wie auch für die ihm anvertrauten Personen hergeben um sie zu schützen. Dies gebot die Ehre und sein militärisches Pflichtgefühl. Aber für alle weiteren Entscheidungen darüber vertraute er auf die moralisch integre Führung des Captains.
Mit beiden Beinen fest auf der Erde verankert, den Helm in der Armbeuge eingehangen, wartete Broxter darauf, dass er endlich in den Raumhafen fahren konnte. Die einzelnen Regentropfen formierten sich mittlerweile zu einem ausgewachsenen Regenguss, aber das war dem hoch gewachsenen Marine egal. Es würde endlich wieder losgehen. Nach all den Jahren in der Stasis und danach als Ausbilder würde er endlich wieder das tun für das er ausgebildet wurde. Wenn nicht dem Imperium selber, dann aber zumindest seinen Idealen dienen.
Master Seargent Nathaniel Broxter war sich sehr wohl bewusst, dass er ein lebender Anachronismus war. Aber er hatte nicht vor dies zu ändern.
Damber, Raumhafen Keachi Field, Lagerhalle 3
"Danke Corporal.", mit einem Nicken quittierte Nate dem Unteroffizier die Abgabe seiner Habseligkeiten. In einem kleinen nun versiegeltem Container würde sein Motorrad wie auch seine Zivilkleidung genug Zeit zum Trocknen haben. Ohne großes Aufhebens hatte der Master Seargent seine Uniform direkt vor Ort angelegt und seinen Motorradhelm gegen die schlichte graue Militärmütze eingetauscht. Einzig seine gepflegte aber abgetragene Lederjacke streifte er wieder über. Sie trug deutlich sichtbar die Insignien des Imperium und im Speziellen die seines Eingreiftrupps, der "Emperors fist".
Mit strammen Schritten ging Broxter in Richtung des Ausgangs. Eigentlich hätte er den Corporal nach einem Jeep fragen können, der ihn bis zur Destiny bringen würde. Zwar gab es hier keinen offiziellen Fahrdienst, aber die Solidarität unter Unteroffizieren beinhaltete solche Gefälligkeiten, die einem erst ab dem Captains-Rang wieder zuteil wurden. Nate zog seine Lederjacke komplett zu und nahm eine durchnässte Hose und Mütze gerne in Kauf für die vorerst letzte Gelegenheit an der frischen Luft spazieren zu gehen. Zwar musste er nun über das ganze Flugfeld laufen, aber die Weltraumneulinge würden sich schon bald nach einem Regenguss zurücksehnen. Mehrere Wochen an Bord eines Raumschiffes auf engstem Raum zu verbringen konnte schon leicht einen Lagerkoller hervorrufen. Vor allem wenn zu allem Überfluss auch noch Zivilisten dabei waren.
Republik von Nowell, Damber, Zypheria Barracks, Tags zuvor
Als die Türglocke schellte, sah der graumelierte Besitzer des kleinen Eckkiosks an der Zufahrt zur Zypheria-Kaserne von der Zeitung auf, die er gerade lies. Als er ein bekanntes Gesicht zur Tür hereinkommen sah, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. "Hey Mr. van Haften! Schön Sie zu sehen!", verlieh er seiner wie so oft positiven Stimmung Ausdruck, um den Soldaten zu begrüßen, der sich ihm einst als Cray van Haften vorgestellt hatte.
"Hey Marv, wie gehts?" Beiläufig begrüßte der blonde, athletische Marine den Besitzer des kleinen Kiosks, in dem er regelmäßig einkaufte, und winkte dem etwas älteren Mann nickend zu, welcher eigentlich mit vollem Namen Marvin Tyrconnell hieß, aber auf den Namen Marv hörte. Jeder der ihn mochte, nannte ihn so, und fast jeder Kunde mochte den fröhlichen Händler.
"Blendend! Die Sonne scheint, das Geschäft geht gut und meine Söhne gehen ausnahmsweise mal artig zur Schule, das ist ein Tag zum Feiern", erklärte der Kioskbesitzer und sein uniformierter Bekannter lachte mit ihm. "Was kann ich denn heute für Sie tun, Mr. van Haften?", erkundigte sich Marv.
"Geben Sie mir bitte eine Packung von den Joneseys, ohne Filter, wie immer, und dann nehm ich mir gleich noch ein Achterbündel Ale aus dem Kühlschrank, wenns recht ist", versetzte der Marine und Marv folgte dem ersten Teil der Bestellung artig. "Wieder auf einen Drink mit Freunden?", erkundigte sich der stets freundliche Händler und Cray nickte leicht. "Mein Abflug steht in Kürze bevor, da muss man sich doch verabschieden", entgegnete der blonde Offizier der Marineinfanterie und erhielt nun seinerseits ein zustimmendes Nicken.
"Ah, schau mal, wer da ist... unser 'Musterschüler'", war auf einmal aus Richtung des Einganges zu hören, und Cray rollte mit den Augen, denn er kannte die Stimme. First Lieutenant Parris Devron, ein von Damber stammender republikanischer Nationalist, der es geschafft hatte, sich im Rahmen seiner Ausbildung einen guten Ruf aufzubauen und dementsprechend einige Freunde hatte, was ihm und seiner Clique so ein wenig das Image der Schulhofkönige eingebracht hatte - mit ihm ging so manches, ohne ihn und seine Freunde ging wenig. Aber so gut der Junge militärisch war - er verabscheute alle, die nicht aus der Republik kamen, genau wie sein Vater, ein Politiker auf Damber, der für eine völlige Isolation der Republik plädierte und durch Predigen eines vermeintlichen Konflikts der Nowellaner und aller "Außenweltler" in einem Teil der Gesellschaft durchaus Gehör fand. Die alte Krux jeglicher Demokratie war nun einmal das Vorhandensein von radikalen Gedanken, die auch wegen der Meinungsfreiheit artikuliert werden durften.
Bei Parris Devron war es aber etwas anderes. Es hatte im gemeinsamen Offizierjahrgang noch einen weiteren "Außenweltler" gegeben, einen jungen dunkelhäutigen Vilani namens Iram Molliec, der eines Tages mit einem zugeschwollenen Gesicht beim Ausbildungsleiter vorsprach und ohne weitere Kommentare aus der Ausbildung entlassen wurde. Es war gemunkelt worden, dass ihm von Devron oder einem anderen Nationalisten Gewalt angetan worden war, doch niemand machte eine belastende Aussage und auch Molliec schwieg, so dass dieser Vorfall relativ schnell wieder von der Agenda verschwunden war. Doch Cray war sich sicher, dass Molliec von Devron und seinen Freunden verprügelt worden war, vermutlich weil er zuvor mehrfach für seine Leistungen gelobt worden war, wohingegen Devron eine Verwarnung wegen alkoholisierten Erscheinens zum Dienst erhalten hatte. Parris Devron hatte ein überzüchtetes Selbstbewusstsein, mangelnde Fähigkeit zur Selbstkritik und eine unerschütterlich rassistische Ideologie, eine gefährliche Mischung. Dass so einer Offizier geworden war, verstand der blonde Vilani nicht.
All diese Gedanken in weniger als einer Sekunde abhandelnd, wandte sich Cray zum Eingang um - besser, man drehte Devron niemals den Rücken zu. "Ich wusste doch, ich würde dich hier finden, kleiner Scheißer", provozierte der nur wenig größere Devron, während er auf Cray zukam - zwei seiner Kumpels folgten ihm, hielten sich aber zurück und beobachteten ihren Anführer, einer mit einem kaum merklichen Schmunzeln. "Denn dein Gestank war schon am Kasernentor unerträglich, Fremdling", setzte Parris fort und kam so dicht an Cray heran, dass dieser seinen nicht gerade frischen Atem riechen konnte.
Cray war kein Kind von Traurigkeit, und er hatte sich in seiner ganzen Ausbildung nichts derartiges bieten lassen. Er hatte kaum direkte Berührungspunkte mit Devron gehabt, daher war er ohnehin weniger behelligt worden, aber er hatte auch schon mal einem eins auf die Nase gegeben, der ihm wegen eines Mädchens dumm gekommen war. Seitdem war er in Ruhe gelassen worden und genoss den Respekt seiner Jahrgangskameraden. Doch seit er vor ein paar Monaten gemeinsam mit Devron in die engere Auswahl für den Posten auf der Destiny gekommen war, hatte er schon des öfteren die Provokationen des Nationalistensohns ertragen müssen.
Völlig ungerührt begegnete er mit seinem Blick dem des Widersachers, ein Hauch eines spöttischen Grinsens war auf seinen Lippen abzulesen. "Willst du mich etwa küssen, Devron, oder warum rückst du mir so auf die Pelle?", fragte er und sah, wie der andere etwas ungehalten wurde - er konnte sich aber noch zurückhalten.
"Ich würde dir gerne deine verdammte Außenweltlerfresse polieren, Lieutenant Superschlau", spuckte Devron vor ihm förmlich aus. "Du und deine verdammten Außenweltlerfreunde, ihr kommt in unsere Republik und meint, euch überall breitmachen zu können. Ich hätte den Posten auf der Destiny verdient, nicht du Drecksmade!", ereiferte sich Devron und spuckte Cray auf den Schuh.
"Wisch das wieder weg", entgegnete Cray und sofort rückte ihm der andere direkt auf die Pelle; auch die beiden Handlanger kamen nun näher. "Wie war das?", fragte Parris mit drohendem Unterton. "Leute, kein Streit in meinem..." 'Laden', hätte Marv sagen wollen, doch Devron brachte ihn mit drohendem Zeigefinger zum Schweigen. "Halt die Fresse, Marv, misch dich ja nicht ein", warnte er den älteren Mann und musterte wieder Cray mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen. "Ich meine, ich habe mich da gerade verhört, van Haften... Willst du mir etwa sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe? Wenn ich es will, spucke ich dir überall hin, auch ins Gesicht, Wichser", giftete der Aggressor weiter.
"Du solltest dir deine Rotze für wichtigere Dinge aufbewahren, Devron, zum Beispiel als Gleitmittel für das nächste Mal, dass du mal wieder dem Colonel in den Arsch kriechst. Denn ohne sowas bist du nicht mehr als ein Maulheld", versetzte Cray und Devrons Halsadern schwollen an. "Du bist so kurz davor, mit deiner Zunge die nächste Latrine auszulecken, Made", kündigte Devron mit nur wenige Millimeter auseinander gehaltenem Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand an.
"Pack mich an und ich reiß dir den Arsch auf, Devron. Und deine beiden Freunde können ihre Nasen dann wieder richten lassen." Crays Augen waren nun auch zusammengekniffen, er spürte den Adrenalinkick, den eine akute Bedrohung verursachte. Er würde gegen drei gut trainierte Soldaten wohl den kürzeren ziehen, aber er würde sich teuer verkaufen.
Devron winkte seinen beiden Kumpels zu. "Bringt ihn vor die Tür", wies er die beiden an und wandte sich zum Gehen. Die beiden kamen auf Cray zu, dieser ging in Verteidigungsposition. "Tut das lieber nicht", warf er den beiden zu, die aber nur höhnisch grinsten. "Sonst was?", entgegnete einer und packte Cray am Arm.
Das war zuviel. Cray umfasste die Hand des anderen, überdrehte sie blitzartig mitsamt dem Arm des Handlangers, so dass er einen Hebel hatte, und rammte dem großgewachsenen Kerl sein Knie in den Magen, worauf dieser keuchend zu Boden ging. Dem Faustschlag des zweiten, der versuchte Crays Kopf zu treffen, wich Cray aus der Bewegung heraus aus, rotierte um seine eigene Achse und parkte seinen Ellenbogen auf dem Solarplexus des zweiten, worauf auch dieser keuchte und in den Knien weich wurde.
Indes hatte der erste sich wieder berappelt und trat Cray in die Kniekehle, worauf er zusammensackte und einen Moment wehrlos war. Der Handlanger nahm den Vilani sofort geistesgegenwärtig in den Schwitzkasten und Devron, der zuerst überrascht gewesen war, grinste jetzt wieder dämonisch. "Du meinst, du kannst dich wehren, Vilani-Scheißdreck? Wir zeigen dir jetzt mal, wozu echte Nowellianer imstande sind", erklärte er und packte Crays Haare mit seiner linken, mit der rechten zum Schlag ausholend.
"Was ist hier los?", durchschnitt eine Stimme die Geräusche der Anwesenden, die jeder Offizier kannte. Colonel Ratham, der Kommandeur der Marines-Einheit, hatte sich offenbar im Laden aufgehalten, denn er stand nun auf der dem Eingang abgewandten Seite des Tresens und hielt einen Beutel in der Hand, in dem sich offenbar seine Einkäufe befanden. Augenblicklich ließen alle von Cray ab, der erstmal seinen Hals rieb und tief Luft holte.
"Äh, Sir, dieser Offizier meinte, uns angreifen zu müssen", erklärte Devron sofort mit einem deutlich unsicheren Unterton in seiner Stimme. "Wir haben von unserem Recht zur Selbstverteidigung Gebrauch gemacht", befleißigte sich einer der Handlanger eifrig nickend zu versichern.
Ratham, ein Berg von einem Mann, stellte die Tüte ab und trat einen Schritt auf die Vierergruppe zu, jeden Beteiligten kritisch musternd. "First Lieutenant van Haften, richtig?", fragte er, und Cray nickte. "Dann erklären Sie mir mal, wie das alles abgelaufen sein soll", forderte der Kommandeur vom Aggressor, und Devron fing zögerlich an.
"Nun ja. Wir, äh, wir sind hier reingekommen, und wir wollten einkaufen, und dann kam Lieutenant van Haften mir entgegen und rempelte mich an... äh, und dann sagte ich ihm, er möge sich entschuldigen, und da schubste er mich, und dann..."
"Hören Sie mit dieser gequirlten Scheiße auf", schrie Ratham Devron aus heiterem Himmel an. Dieser zuckte zusammen und war offenbar drauf und dran, seinen Speichellecker-Modus zu aktivieren. "Sir, ich..." - "Halten Sie bloß den Mund, Devron! Zu Ihrem eigenen Besten!", erklärte Ratham mit Schärfe in seinem Ton und verschränkte die Arme vor der Brust. "So wie ich das ganze gehört und gesehen habe, haben Sie, First Lieutenant van Haften, rein gar nichts zur Sache beigetragen. Ist das richtig, Mr. Tyrconnell?"
"Absolut, Colonel", entgegnete Marv, unsicher was er von der Situation halten sollte.
Ratham fuhr fort. "Ich habe das ganze mit angehört, Mister Devron, und ich habe sehr wohl die Drohungen gehört, die Sie Mister van Haften gegenüber ausgesprochen haben. Ich kenne Ihren Vater und ich weiß, was für einen wiedergekäuten Rassistenmist er Ihnen ins Gehirn gepflanzt hat. Es steht mir nicht zu, das politisch zu bewerten, meinetwegen soll jeder in dieser Demokratie sagen, was er für richtig hält. Aber ich kann Offiziere nicht ausstehen, die mir ins Gesicht lügen - und Sie drei haben mit Ihrem Angriff auf einen Kameraden gerade eine Grenze überschritten, die ich in meinem Bataillon nicht dulde! Mister Tyrconnell, rufen Sie die Kasernenwache an, ich will sechs bewaffnete Soldaten hier haben - Ich nehme Sie, Lieutenant Devron, und Ihre beiden Freunde, unverzüglich in Gewahrsam."
Während Tyrconnell zum Telefon griff, ließ Ratham die drei Delinquenten antreten und notierte sich von allen dreien Name, Dienstgrad und Einheit. Der Kompaniechef der drei Schlägertypen würde sich gewiss nicht freuen. Cray hielt sich zurück und versuchte einen möglichst nichtssagenden Gesichtsausdruck zu zeigen, doch ein Blick zu Devron, der vor Hass auf ihn fast platzte, ließ ihn innerlich schmunzeln. Manchmal bauten Leute einfach so große Scheiße, dass sie da nicht so einfach wieder herauskamen. Ihm sollte es egal sein.
Nachdem die drei Provokateure abgeführt worden waren, fand Ratham noch ein paar positive Worte für Cray und schließlich konnte er den Kiosk verlassen. Die Packung Zigaretten, die er gekauft hatte, knüllte er zusammen und warf sie in den nächsten Müll - er wusste nicht, wieso, aber irgendwie tat es ihm gut, das immer wieder zu tun, auch wenn er dadurch unnötig Geld ausgab.
In seiner Unterkunft angekommen, setzte sich der Offizier in seinen Bürostuhl, öffnete das Achterpack Ale und genehmigte sich eine Flasche davon. Wenn er wirklich enge Freunde gehabt hätte, hätte er sie jetzt eingeladen, denn am nächsten Tag würde er an Bord der Destiny gehen. Doch wo einerseits Respekt ihm gegenüber herrschte, da war andererseits kaum wirklich Sympathie zu finden. Er wurde von seinen Kameraden respektiert und in Ruhe gelassen, aber so richtige Freunde hatte er nicht. Er verstand das nicht, aber er hatte sich damit zu arrangieren gelernt.
"Cheers", prostete er in den Raum einer nicht vorhandenen Feiergesellschaft zu und genoss das Bier.
Keachi Field, nächster Tag
Von einer kleinen Anhöhe, etwas Abseits des nach Außen abgesperrten Landefelds, ließ Kay Azare ihren Blick über die dunkle Außenhülle der Desitny schweifen. Einige Momente verstrichen, dann, wischte sie sich mit ihrem bereits durchnässten Ärmel über die Augen und setzte das Fernglas an um einen genaueren Blick auf ihr neues Schiff werfen zu können.
Im Geiste verglich sie die Einzelheiten mit den zahllosen Bauplänen welche sie in den letzten Wochen studiert hatte. Unbewusst wanderte ein schmales und zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen als ihr Blick zu den Manöviertriebwerken und dem imposanten Sprungtriebwerk gelangte. Wobei die Beschreibung "imposant" wohl nur für einen weiteren Techniker oder Ingenieur eine verständliche Umschreibung darstellte - wenn man wusste was sich genau hinter der im Regen spiegelnden Hülle verbarg.
Gemessen an dem heutigen Technologiestandart stand dort unten der Sinnbildliche "Wolf im Schafspelz". Sie war sichtlich Stolz darauf, dass es ausgerechnet sie war, die MacArthur für den Posten des Chefingenieurs ausgewählt hatte. Hätte ihr jemand vor Jahrzehnten, als sie noch irgendwo unter der Erde schmutzige Erzbohrer für ihrer Mutter repariert hatte, erzählt, sie würde einmal auf so einem Schiff landen, sie hätte ihn für komplett irre gehalten.
Am Rande ihres Blickfelds bewegte sich nun etwas. Sie ließ den Feldstecher etwas zur Seite gleiten und fokosierte die Person die sich gerade mit strammen Schritten auf die Mannschleuse zubewegte. Durch den Regen und das graue Licht konnte sie noch keine Einzelheiten erkennen, am Gang vermutete sie jedoch eine Frau hinter dem Neuankömmling.
Zufrieden verstaute Kay das Fernglas wieder in ihrem Seesack, welcher an einem Felsen gelehnt hatte und machte sich dann leichtfüßig auf den Weg zurück zur Straße an der sie ihr Bike abgestellt hatte. Sie hatte es sich von einem der ansässigen Händler für eine fast schon unverschähmte hohe Summe geliehen - dafür konnte sie es jedoch wenigstens im Hanger zurück lassen und musste sich nicht mehr darum kümmern wie es zu seinem Besitzer zurück kehrte.
Würde Sie in einigen Jahren von ihrer Mission mit der Destiny zurück kehren, hätte sich die Technik eh schon so weit entwickelt, das das heutige "non-plus-Ultra" wohl schon wieder ein alter Hut wäre. Und wer wollte schon ein altes Grav-Bike fahren ...
Kurz rückte sie noch einmal ihre Navy Mütze zurecht, setzte ihre gelb getönte Brille auf, um wenigstens optisch vor dem Regen geschützt zu sein und brauste dann, vorbei an den verschiedensten Fahrzeugen, die Straßen hinunter zum Eingang des Raumhafens.
♦
'Verdammter Regen!'
Cray hatte sich zwar in weiser Voraussicht eine regendichte Jacke übergezogen, aber das machte das Wetter keinen Deut angenehmer. Der Taxifahrer hatte ihn am Eingang zum Flugfeld abgesetzt und den Rest der Strecke legte der Marines-Offizier mit geschultertem Seesack und der zweiten Reisetasche in der linken Hand zügig zurück. Ein Rinnsal bahnte sich seinen Weg von der Feldmütze über seinen Nacken in den Kragen seines Anzuges. Er schüttelte sich unwillkürlich, um den weiteren Fluss dieses Rinnsals zu unterbrechen oder zumindest so zu verlegen, dass es außen auf seiner Jacke ankam und nicht auf der Innenseite seines Kragens. Hätte er doch nur die Tropenmütze angezogen! Mit der rundum vorhandenen breiten Krempe wäre das nicht passiert.
Jemand rauschte mit einem Gravbike an ihm vorbei und parkte es in einigen Metern Entfernung auf einer dafür vorgesehenen Stellfläche. Er musterte die Person, die das Vehikel gesteuert hatte, während sie vom Bike abstieg und ihre Sachen ergriff - eine Frau, seiner Wahrnehmung nach, die eine Navy-Uniform trug -, und sprach sie an, als er sich ihr näherte. "Schickes Bike", gab er ein Kompliment. "So eins hab ich mir früher immer gewünscht", fügte er hinzu, unsicher ob die andere Person ihn im strömenden Regen gehört hatte. Gleichzeitig beeilte er sich, zu der Frau aufzuschließen.
In einiger Entfernung sah man die Silhouette der Destiny - Cray freute sich auf die neue Aufgabe, es würde bestimmt einiges anders werden in der kommenden Zeit.
Kay warf einen kurzen Blick über die Schulter und ließ den Fremden dann zu ihr aufschließen. Nachdem sie eh schon komplett durchnässt war und ihr der Regen nichts ausmachte spielte es keine Rolle ob sie nun ein wenig früher oder später an Bord gehen würde.
Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht und sie nickte dem Mann zu.
"Danke, ja, das Ding ist wirklich ... cool. Nur an der Kraftübertragung müssen sie noch ein bisschen was machen."
Sie musterte ihr Gegenüber für einen Moment, dann sprach sie weiter:
"Sind Sie auch auf dem Weg zu Destiny?"
"Aye", bestätigte Cray, kurz bevor er einen Augenblick lang das Gesicht verzog, als ein schwerer Regentropfen auf der Oberkante seines dicken Jackenkragens einschlug und in alle Richtungen zerplatzte - also auch in sein Gesicht.
"1st Lieutenant van Haften, ich bin der neue Sicherheitsbeauftragte der Destiny", erklärte er schmunzelnd und reichte der Frau die behandschuhte Hand. "Und mit diesem Mistwetter habe ich nichts zu tun, ich schwöre", scherzte er.
'Na, ich hab aber auch ein Glück ...', schoss ihr durch den Kopf während Kay die ihr angebotene Hand ergriff und schüttelte.
"Oh, das Wetter stört mich nicht wirklich. Ich habe gelesen, dass man sich um diese Jahreszeit auch ohne Probleme in kürzester Zeit einen Sonnenbrand zulegen kann ...", erwiderte sie ebenso gut gelaunt.
Ein ebenso gut gelaunter Sicherheitsbeauftragter war selten wie sie fand. Eine durchaus positive Überraschung und Kay hoffte, dass sich das auf ihrer Reise so fortsetzen würde.
"Lieutenant Commander Azare, Chefingenieur."
"Freut mich, Ma'am", schüttelte Cray die ihm dargebotene Hand, während der Regen noch mal eine Schippe zuzulegen schien. Die Jacke, die das Corps seinen Berufssoldaten spendierte, war gut gefertigt und hielt das gröbste ab, doch ab einem gewissen "Wasserdruck" an der Außenseite wurde jede Jacke undicht. An seinem Rücken spürte der blonde Sicherheitsoffizier das bereits, wo sich die Nässe zwischen seine Jacke und den Rucksack zwängte.
Beide setzten ihren Weg in Richtung der Tragfläche der Destiny fort. "Wir werden dann wohl des öfteren miteinander zu tun haben, ich bin in Nebenfunktion nämlich auch als Hilfstechniker vorgesehen. Meine Abschlussnote in der Technikprüfung an der Akademie war 2,1, da hat man mich für gut genug gehalten, dem Fachpersonal zumindest auch mal zur Hand zu gehen. Ich freue mich über jede Fortbildung", erklärte Cray mit fester Stimme, um das laute Tosen des Regens zu übertönen.
"Waren Sie schon zuvor mal auf dem Schiff?", erkundigte er sich. Der rettende Regenschatten der Tragfläche, getrennt von ihnen durch einen wahren Wasserfall an Traufe, war noch etwa dreißig Meter entfernt.
"Nein, leider noch nicht.", antwortete Kay wahrheitsgemäß. Sie hatte es sichtlich bedauert einen so straffen Zeitplan und nicht die Möglichkeit gehabt zu haben sich vorher schon physikalisch mit der Maschine vertraut zu machen. Sie war sich sicher, dass sie die Zeit bis zum Abflug nicht viel zum Schlafen kommen würde, was aber angesichts des Abenteuers das vor ihr lag auch nebensächlich war.
"Aber es ist gut zu wissen, dass sie sich auch für die Technik interessieren. Dann muss ich wenigsten keine Angst haben, dass Schilder "Bitte nicht anfassen" sicherheitstechnisch einfach übergangen werden.", scherzte sie gut gelaunt weiter und zwinkerte dem Marine zu.
Schnellen Schritts brachten die beiden Offiziere die letzten Meter bis zur Tragfläche hinter sich unter der es sofort merklich ruhiger wurde und trockener von oben wurde.
Mit ihrer freien Hand nahm Kay im gehen die Brille ab und wischte sich wieder einmal mit den Unterarm über das Gesicht. Zwar war es angesichts ihrer ebenfalls nassen Uniform ein hoffnungsloses Unterfangen eine trockene Stelle zu produzieren, aber immerhin hörten dadurch die feinen Regentropfen auf ihrer Haut auf zu Kitzeln.
Der Blick der Ingenieurin viel auf die Mannschleuse, die von ihr aus nun erkennbar war. Man konnte sehen, dass sich dort bereits Leute bewegten, doch ihre Gesichter lagen noch im Schatten des Raumes.
"Wie es scheint werden wir wohl schon erwartet." In der Hand immer noch die Brille, deutete sie auf den Eingang.
"Scheint so", nickte Cray der dunkelhaarigen Ingenieurin zu. Er schüttelte sich etwas das Wasser von der Jacke, indem er mit beiden Händen jeweils seitlich am unteren Saum zog, bevor er der Ranghöheren den Vortritt ließ, damit diese sich beziehungsweise sie beide vorschriftsgemäß zum Dienst melden konnte.
Destiny, Hauptdeck
Ihr Weg, zurückgelegt in zügigem Schritt, führte Amalisa Bryne am Raum mit den Stasiskammern vorbei, wo sie stehen blieb. In der Theorie war sie mit diesen Vorrichtungen vertraut - in der Praxis würde sie sich diese in den nächsten Tagen einmal genauer betrachten. Das Prinzip war auf Damber bekannt, natürlich. Aber genauso natürlich war es bei Weitem nicht so ausgefeilt wie das System an Bord der Destiny. Und auch dieses System war schon einmal ausgefallen. Amalisa gedachte, sicherzustellen, dass nicht sie der Grund für einen erneuten Ausfall der Technik sein würde.
Ein dicker Wassertropfen, der an ihrer Nase herablief, erinnerte sie an ihren triefenden Zustand und sie setzte sich wieder in Bewegung.
♦
Durch die geöffnete Tür zur Hygienezelle warf Amalisa einen letzten Blick in den Spiegel. Ein kurzes, aber zufriedenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Sie war froh, dass sie keine Uniform zu tragen brauchte. Ihr Status als Zivilperson sah dies nicht vor. Also hatte sie sich für eine bequeme Hose - die aber dennoch nicht unordentlich wirkte - entschieden, darüber eine langärmelige Tunika aus einem Material, welches wie Seide wirkte, aber künstlichen Ursprungs war. Dennoch wies es genau die gleichen Eigenschaften wie Seide auf: atmungsaktiv, wärmeregulierend - und einfach nur tierisch bequem.
Ohne dem Chaos in ihrem Quartier, das sie in wenigen Minuten angerichtet hatte, einen weiteren Blick zu gönnen, wandte sie sich zur Tür. Kurz bevor sie den Öffner betätigte, zog sie sich das Handtuch vom Kopf und schleuderte es auf die Lehne des Sofas.
An der Mannschleuse
Sie fühlte sich wohl an Bord dieses Schiffes, dachte Amalisa, als sie erneut die Mannschleuse betrat, diesmal von der anderen Richtung und um einiges trockener als noch vor kurzem. Aber irgendwie gefiel ihr der Gedanke, an Bord eines Raumschiffes zu sein. Auch wenn ihr nicht im Geringsten klar war, wie sie es auf Dauer vertragen würde, ständig auf doch relativ engem Raum mit den gleichen Menschen eingepfercht zu sein. Dennoch war sie guten Mutes. Vor allem, weil es sich nicht um irgendein Raumschiff handelte, sondern um eben dieses. Technologisch weit ausgereifter als alles, was die Republik von Nowell ihr eigen nennen konnte. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es nicht langweilig werden würde auf diesem Schiff.
Die Mannschleuse war leer, der Captain nicht mehr da. Amalisa trat an die Schleusenöffnung heran und blickte nach draußen. Wahre Sturzbäche fielen vom Himmel herab, das Rauschen des Regens ließ nicht vermuten, dass in nächster Zeit mit einem Nachlassen des Unwetters zu rechnen war.
♦
Ohne Eile aber in militärischer Gangart lief Broxter auf die Destiny zu. Auf der anderen Seite des Feldes war die Destiny klar zu erkennen. Ein Symbol für die Überlegenheit des Imperium und ihrer Werte gegenüber den demokratischen Weichspülern. Nate spürte die aufkommende Vorfreude endlich wieder an Bord gehen zu können und die Republik erst einmal hinter sich zu lassen.
Durch den prasselnden Regen erblickte Amalisa zunächst einen Schatten, der sich auf die Destiny zubewegte. Aus der Gestalt wurde ein wahrer Schrank von einem Mann, in militärischer Kleidung, der eine Lederjacke trug. Sofort nach Betreten der Schleuse nahm er seine Kappe ab und schüttelte das nasse Ding in Richtung des Regens aus.
"Sergeant Major Broxter", nickte die Wissenschaftlerin in Richtung des Neuankömmlings. Selbst wenn ihr der Mann nicht von einem der Gespräche mit MacArthur, die ihrer Einstellung voraus gegangen waren, bekannt gewesen wäre, wäre ihr spätestens beim Anblick der Insignien auf seiner Jacke klar gewesen, wer da vor ihr stand.
Ohne Eile zog Nate seine Mütze wieder auf und öffnete seine Lederjacke unter der das fast trockene Oberteil seiner Uniform zum Vorschein kam. Er hatte den Spaziergang im Regen genossen und sich einen kurzen Moment der Entspannung gegönnt. Nun aber war er wieder im Dienst und seine ohnehin kerzengrade Haltung schien noch angespannter als er den ersten Schritt auf die Schleuse der Destiny gesetzt hatte. Mit ausdrucksloser militärischer Miene blickte der Sergeant seinem Gegenüber unverwandt in die Augen. Seine braunen Augen schienen unnatürlich kalt und ließen jede Wärme vermissen, als ob sie nie aus dem Kältschlaf aufgetaut worden waren. Was für einen Teil seiner Seele vielleicht sogar stimmte.
Nate kannte die Frau die nominell das Kommando im Namen der Republik von Nowell inne hatte und war fasziniert von ihr. Aus einfachen Verhältnissen hatte sie es bis zur Elite dieser Gesellschaft geschafft und das nur aufgrund ihres Ehrgeizes und Können. Sie hätte gut zum Imperium gepasst. Allerdings stand die Person im starken Konflikt mit der Position die sie inne hatte. Diese konnte er nur schwer akzeptieren. Daher verfiel er instinktiv in die Körperhaltung, die er in Anwesenheit anderer Personen die letzten Jahre fast immer inne hatte.
Seine Knie und Hüfte beugten sich minimal und auch die Arme hingen ebenfalls nicht gerade herunter. Diese intuitive Verteidigungshaltung, die im Falle einer Überraschung für einen minimalen aber entscheidenden Bewegungsvorteil sorgte, hatte unter anderem schon dem Captain das Leben gerettet. Zwar erwartete der Marine weder einen Angriff der Wissenschaftlerin oder einen Hinterhalt, noch nahm er sie als ernstzunehmende Gefahr war. Vorerst. Aber dieser Reflex, entstanden aufgrund des Gefühls in einer feindlichen Welt zu leben, war Teil seiner Persönlichkeit geworden.
"Ms. Bryne. Willkommen an Bord.", begrüßte Broxter die Wissenschaftlerin knapp mit einer leichten angedeuteten Verbeugung. Die respektvolle, fast archaische, Begrüßung einer höhergestellten Frau, wie sie Nate seit Kindesbeinen an gelehrt worden war, ignorierte die Tatsache, dass er eigentlich nach ihr angekommen war. Sie willkommen zu heißen war sein Weg ihr seinen Standpunkt klar zu machen. Sie war Gast auf diesem Schiff und sollte sich auch so verhalten.
Auch während er weiter sprach wich sein energischer Blick nicht von den mandelförmigen, tiefdunklen braunen Augen seines Gegenübers ab, als ob er in ihren Kopf schauen wollte. "Ich hoffe Sie haben alles was Sie brauchen."
Eine schwarze Augenbraue strebte dem dunklen Haar der Wissenschaftlerin entgegen und der leicht asiatische Hauch ihrer Augen schien sich zu verstärken, ansonsten jedoch hatte sich Amalisa genug unter Kontrolle, um nicht weiter auf die geringfügige aber dennoch wahrnehmbare Veränderung in der Erscheinung des Marine zu reagieren. In der Regel war sie professionell genug für solche Dinge. Es sei denn, jemand brachte sie in Rage, dann konnte sie auch anders.
Sie hatte schon so manches über Broxter gehört. Vielen Leuten auf Damber war der Mann mehr als unsympathisch, kaum einer schien ihm ernsthaft zu trauen. Allerdings bezog sich das wohl nur auf alle Dinge, die nicht mit seinem Captain zu tun hatten. Seine Loyalität diesem Mann gegenüber - sowie dem untergegangenen Imperium - war ebenfalls sprichwörtlich.
Mochte er sein, wie er war. Mochte er, wie es den Anschein hatte, ebenfalls niemandem vertrauen. Sein Leben würde verdammt einsam sein, aber das war ebenfalls seine Sache. Die Hauptsache war doch, dass er seine Arbeit ordentlich erledigte, und das mußte er wohl, denn MacArthur würde vermutlich an niemandem - und sei er auch noch so sehr ein Überbleibsel aus den Zeiten des Imperiums - festhalten, wenn er nicht fähig und vertrauenswürdig war.
Ein freundliches Lächeln erhellte das Gesicht der Wissenschaftlerin, als sie Broxter nun antwortete: "Danke, es ist alles in bester Ordnung. Abgesehen einmal davon, daß ich es schon fertiggebracht habe, mein Quartier ins Chaos zu stürzen, weil ich in ungefähr dem gleichen Zustand wie Sie hier eintraf.", natürlich hatte Amalisa bemerkt, was er mit seiner Begrüßung bezweckte. Zum einen war es offensichtlich - und zum anderen kannte sie seinen Ruf. Er war ein Imperialer, durch und durch. Und diese komische Republik von Nowell war nur etwas Untergeordnetes für ihn.
"Allerdings besaß ich keine solch praktische Jacke wie Sie...", ließ sie ihre abschließenden Worte verklingen.
Ein kaum merkliches Zucken entfuhr Broxters Mundwinkel, wobei nicht einmal er selber sagen konnte ob es Freude oder Belustigung ausdrückte. Sein Blick blieb weiter durchdringend, während er darum kämpfte seine Körperhaltung ein wenig zu entspannen. Es war offensichtlich, dass die Wissenschaftlerin weder ihm noch dem Schiff oder dem Captain etwas Böses wollte. Sie war überprüft worden und sein persönlicher Eindruck hatte dies bestätigt, auch wenn er bis jetzt nicht direkt mit ihr gesprochen hatte. Dennoch war es schwer für ihn seine kampfbereite Haltung zu verlassen.
Trotz des massiven Fundamentes seiner Überzeugungen war Nate bewusst, dass sie einige Zeit miteinander verbringen würden. Auf so einem kleinen Schiff war die Chemie zwischen den Menschen wichtig, bevor irgendwann der Lagerkoller zuschlug. Normalerweise war das kein Problem, schließlich war dies früher ein Militärschiff mit Elitetrupps an Bord, allerdings musste man sich den aktuellen Gegebenheiten anpassen. Zivilisten waren immer ein Stück weit unberechenbar. Insofern wäre es ein Fehler von ihm die leitende Wissenschaftlerin abzukanzeln.
Langsam ließ Nate seine Schultern einmal kreisen und legte kurz den Kopf schief, um die Entspannung ein wenig zu beschleunigen, wobei er nicht wusste ob so eine Geste bei seiner Statur nicht den gegenteiligen Effekt bewirkte. Amalisa hatte seinen Hinweis ohne Kommentar aufgenommen, ein wenig geplappert und ein Kompliment zu seiner Jacke angebracht. Daher wollte er sich nicht wortkarg geben. "Vielen Dank.", antwortete der Marine, wobei seine tiefe Stimme mit jedem Wort eine freundlichere Klangfarbe bekam. "Diese Jacke hat mich schon auf vielen Reisen begleitet und war mit das Beste was das Imperium an Ausrüstung zu bieten hatte. Außerdem ist es eines der wenigen Erinnerungsstücke die mir aus meiner Zeit geblieben sind. Ich weiß das die Insignien und die Bedeutung dieser Jacke für eine Wissenschaftlerin die den Blick nach vorne gerichtet hat, ein wenig archaisch anmuten muss. Aber ich komme aus einer Soldatenfamilie und die Menschen die dieser Einheit angehört hatten, gehörten für mich ebenfalls zur Familie."
"Der Blick nach vorne nutzt einem wenig, wenn man nicht auch ein kleines Bißchen nach hinten blicken kann.", erwiderte Amalisa ruhig. "Wer nicht weiß, woher er kommt, wird nur schwer beurteilen können, wohin die Reise gehen sollte. In unserer Geschichte gibt es genug Momente, die sich nicht wiederholen sollten. Und das können sie nur dann nicht, wenn man um die Fehler weiß, die seinerzeit gemacht worden sind."
Die Wissenschaftlerin seufzte kurz. "Auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, daß der Großteil von Dambers Gesellschaft mich für ziemlich durchgedreht hält, weil ich mich für die Geschichte des Imperiums interessiere... Aber was stehe ich hier und plappere", unterbrach sie sich leicht verärgert, wobei sie einen Blick auf Broxters Stiefel warf, die in einer Pfütze standen, "während Sie hier die Schleuse unter Wasser setzen. Gehen Sie sich doch umkleiden!"
Wieder durchzuckte Nates Gesicht ein kaum merkliches Zucken. Er musste zugeben das ihm die Wissenschaftlerin sympathisch war. Weder schien sie Berührungsängste oder Vorbehalte gegenüber einem Mannschaftsgrad zu haben, noch war es gänzlich uninteressant was sie vor sich hin redete. Jemand der von Dambers Gesellschaft als verrückt bezeichnet wurde konnte so falsch nicht sein. Allerdings gab Broxter sich auch keinen Illusionen hin. Die Konflikte würden kommen und ihre Positionen waren festgelegt. Zum Glück stand er selber auf der Gewinnerseite.
"Danke Ms Bryne, aber eine Rücksichtname ist nicht nötig.", antwortete Nate fast freundlich, die mandelförmigen Augen seine Gegenübers fest im Blick. "Aber eine nasse Hose hält einen Marine nicht auf." Dennoch verbeugte er sich leicht zum Abschied. "Ich werde mich jetzt beim Captain zurückmelden."
Ohne weitere Umschweife ließ er Amalisa stehen und bewegte sich in Richtung Frachtraum in dem der Captain mit Commander Porter sprach.
♦
Unbewusst spannte sich sein Körper wieder an, was einen leicht federnden Gang zur Folge hatte, aus dem er ansatzlos sprinten oder in Deckung springen konnte. Nates kalte, braune Augen verengten sich als er den Frachtraum nach Gefahren absuchte. Als er keine gefunden hatte begab er sich zu den beiden Personen im Raum. Der Marine hielt in respektvollen Abstand an und salutierte, die Augen starr geradeaus. "Master Seargent Nathaniel Broxter meldet sich zu Dienst, Sir.
MacArthur erwiderte den Salut mit einem offenen Lächeln.
Nach all den Jahren behielt Broxter noch immer seine eiserne Disziplin bei, ja, er hatte sie sogar noch mehr ausgeprägt. Ganz im Gegensatz zu den vielen, eher gemütlichen Abenden, in denen sie bis spät in die Nacht über alte und vor allem auch neue Zeiten sinniert hatten.
"Willkommen zurück, Sarge, rühren!
Ich hoffe, sie haben Ihre Auszeit genossen, hier wird es nämlich in Kürze rund gehen."
"Aye, Sir.", bejahte Broxter die Frage nach seinem Landurlaub und verließ die Saluthaltung. Dabei stellte sich der Marine leicht schräg, so dass sein ungeschützter Rücken nicht mehr direkt zum Durchgang zur Mannschaftsschleuse zeigte. Während er nicht direkt mit dem Captain sprach wanderten Broxters Augen unwillkürlich von einer potentiellen Gefahr zur nächsten. Dies war ein weiterer Instinkt den er sich, neben seiner wieder kampfbereiten Haltung, antrainiert hatte. Ein leichter Schauer durchfuhr ihn als er an die bisherigen Attentatsversuche auf MacArthur denken musste. Nate war bewusst das er aufgrund seiner Art bestenfalls belächelt wurde, aber sie war notwendig.
Ein Attentäter hatte stets den Vorteil der Überraschung den man allein mit Disziplin und Konsequenz begegnen konnte. Es stannd sinnbildlich für den Verfall der Zivilisation das es MacArthurs Gegnern gottlob bis jetzt nicht gelungen war ihn aus dem Weg zu räumen. Broxter würde drei Kreuze in die Wand seiner Koje machen, wenn sie erst einmal von der Planetenoberfläche abgehoben waren.
In dieser Situation war die einzige Gefahr die er ausmachen konnte Commander Porter, dem er ein militärisch knappes Nicken zukommen ließ. Der Captain hielt große Stücke auf ihm und Nate konnte bis jetzt nichts gegenteiliges feststellen. Die Zeit würde es zeigen und bis dahin würde auch der Commander in den Genuss seines durchdringenden Blickes kommen. Diesen wandte der Marine aber nun ab und blickte freundlich zum Befehlshaber des Schiffes.
"Gibt es Probleme Sir?"
"Auf den ersten Blick nur das übliche, Sarge: Unvollständige Ladelisten. Das alles hat hier aber in so fern eine gewisse Brisanz, als dass in nennenswerten Umfang elektronische Ersatzteile betroffen sind. Mein Gefühl sagt mir, dass diese Teile auf dem Weg zum Schwarzmarkt sind. Dr. Ex ist bereits dabei, nach Spuren im hiesigen Computernetz zu suchen. Je nach dem, was wir hier herausfinden, kommen Sie und ihr Team ins Spiel."
Je mehr er darüber nachdachte, desto eher wurde ihm klar, dass es keine Zeit zu verlieren gab. MacArthur zögerte nun nicht mehr länger, die Entscheidung war für ihn bereits gefallen. Jetzt kam es nur noch darauf an, wie man das Ganze umsetzen würde:
"Ich möchte, dass Sie die Zeit nutzen. Machen Sie die Nighthawk startklar. Ich kläre etwaige Probleme mit der Raumflugkontrolle. Sarge, falls Ihr Team noch nicht vollständig ist, sorgen Sie dafür, dass dies schnellstmöglich der Fall ist.
Commander, in einer Stunde möchte ich die Führungsoffiziere, Dr. Bryne, Dr. Ex und den Sergeant-Major zu einer Lagebesprechung in der Messe haben."
Das Spiel begann...
Destiny, Kay's Quartier, 15 Minuten später
Für einige Momente begutachtete sich die Solomani im Spiegel und rückte ihre - trockene - Uniform zurecht. Es war ein Arbeitsuniform und sie war sich sicher, dass in ein paar Stunden sie sicherlich nicht mehr so gerade und sauber sitzen würde. Sie war nun Chefingenieur - was bedeutete, dass sie Aufgaben delegieren konnten. Oder auch musste. Trotzdem war Kay davon überzeugt, dass sie keinen guten Führungsoffizier abgeben würde, wenn sie nicht auch bereit war sich selbst mal ein bisschen die Hände schmutzig zu machen. Aber das war in Ordnung - sie würde es genießen.
Dann viel ihr Blick auf die alten Boxhandschuhe, die sie über den Spiegelrand gehängt hatte und ihr Blick trübte sich ein bisschen. Sie war erwachsen, hatte in den Augenwinkeln die ersten kleinen Falten bekommen, ihre Vergangenheit hinter sich gelassen und es waren fast 25 Jahre her dass ihr Vater ums Leben gekommen war. Viele Leute hatten ihr gesagt, der Schmerz würde über die Jahre hinweg weniger werden. Doch das war eine Lüge! Man lernte nur besser damit um zu gehen und Gefühle in einem kleinen symbolischen Kistchen zu verstauen, damit sie einen nicht auffraßen und begannen zu erdrücken.
Das Kistchen für ihren Vater war das erste gewesen das Kay angelegt hatte. Danach folgten noch etliche Weitere. Eine Weitere war die für ihren Kumpel gewesen, mit dem sich damals ihre Heimat verlassen hatte. Es war an einer Drogenüberdosis gestorben und auch wenn sie zum damaligen Zeitpunkt schon längst nicht mehr zusammen gereist waren, hatte Kay die Nachricht doch sehr betrübt und deprimiert.
Und dann waren da noch die Kameraden die bei Unfällen oder Gefechten gestorben waren. Als sie später die Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte, waren einige davon zu ihren Untergebenen geworden wodruch sie ihr Tod umso mehr getroffen hatte, da sie sich für sie verantwortlich gefühlt hatte. Aber sie hatte gelernt damit umzugehen - ein Kästchen in ihrem Inneren für jeden.
Kay war stolz auch sich, dass sie sich noch heute an jeden ihrer Namen erinnern konnte und hatte sich geschworen ihr Andenken weiterhin zu bewahren.
Ein kurzes Kopfschütteln, dann versuchte sie die dunklen Gedanken die sie überfallen hatte abzuschütteln und sich wieder auf ihre neue Aufgabe zu konzentrieren.
"Das hättest du nicht gedacht, Dad, dass ich einmal den Maschinenraum eines Raumschiffes unter meiner Fuchtel hätte, was?" Neckisch zwinkerte sie den Handschuhen zu, so als wenn sie sicher wäre, sie würden ihr gleich mit der Stimme ihres Vater antworten.
Sie hatte es nie bereut ihr Backpackerleben aufgegeben zu haben und zum Militär gegangen zu sein. Sie hatte ein bisschen von ihrer Freiheit geopfert und dafür eine neue Familie gefunden. Eine Familie die für einander Einstand. Kay war durchaus bewusst, dass das eine sehr idealistische Blickweise auf eine Armee war, die per Definition dazu gebildet wurde um mit Waffengewalt Interessen durchzusetzen. Die Realität holte sie auch hier nur all zu oft ein, doch es war mehr als sie je von ihrer leiblichen Familie bekommen hatte. Um so erfreulicher war nun an Bord eines Schiffes zu sein, das in grundsätzlich friedlicher Mission unterwegs war.
Ein zweites Mal erwischte sie sich dabei wie ihre Gedanken abgedriftet waren. "Schluss jetzt!", murmelte sie zu sich selbst und verließ schnellen Schritts ihr Quartier. Auf zum Maschinenraum, mal sehen wer schon alles da war.